Nur 5 Kilometer abseits der E6 in Nordnorwegen liegt eine wundervolle Wandermöglichkeit in den Rago-Nationalpark. Neben dem Svartisen-Gletscher und dem Marmorschloss war dies mein eindrucksvollstes Erlebnis in dieser Gegend, ja auch einer der Höhepunkte auf der gesamten Nordnorwegenreise. Wie es sich für eine Wildnistour gehört, ist der Trail holprig sowie stellenweise sumpfig, und man benötigt gutes Schuhwerk und Trittfestigkeit, aber die grandiose Natur entschädigt für alles. Mit kleinen Kindern oder mit Sandalen ausgerüstet sollte man hier lieber nicht wandern.
25 km nördlich von Fauske zweigt die Stichstraße nach Lakshola/Rago von der E6 ab. Es empfiehlt sich, langsam zu fahren, denn der Abzweig kommt unvermittelt an einer Tunnelmündung. Auf halben Weg nach Lakshola befindet sich ein größerer Campingplatz am See, am Ende der Straße in Lakshola noch ein kleinerer. Ich zog einen idyllischen freien Übernachtungsplatz direkt am Fluss vor, musste mich dort allerdings einiger Mücken erwehren. Auf der Rückfahrt übernachtete ich auf einem unbenutzten Holzlagerplatz, nicht so romantisch, dafür aber mückenfrei.
Die Wanderung beginnt am Ende der Straße in Lakshola. Da ich es vom Übernachtungsplatz nicht weit hatte und frühmorgens dort ankam, konnte ich das Womo bequem parken. Später am Tag wird es eng mit Parkplätzen, aber nicht, weil dort ein Massenansturm stattfindet, sondern weil alles klein und bescheiden ist. Eine Infotafel bietet sich an, die Landkarte abzufotografieren, falls man keine dabei hat. Ein schlichtes Holzschild „Rago“ weist nach rechts und los geht´s. Der Weg ist zunächst breit, mit Traktoren befahrbar und führt sehr steil bergan. Nachdem eine gewisse Höhe erreicht ist, geht es links auf schmaler werdendem Wanderpfad weiter. Dann wird einem klar, dass die Höhe notwendig war, um Stromschnellen zu umgehen, auf die man an einem kleinen Aussichtspunkt einen Blick werfen kann.
Schließlich nähert sich der Pfad dem Flussufer, und dann ist man endgültig gefangen vom Zauber dieser mächtigen Natur. Der Fluss ist kristallklar, smaragdgrün und von wunderschöner Vegetation gesäumt.
Bald wechselt man auf einer Hängebrücke die Seite, um zwischen Felsblöcken und Bäumen hindurch dem romantischen Ufer zu folgen.
Allmählich kommt eine gewaltige Flussschleife in Sicht.
Wo ein Bach von weit oben über Felsen durch lichten Wald herunterplätschert, zweigt der Trail links vom Flussbett ab, und eine etwas mühsame Kraxelei beginnt, bis sich oben ein herrlicher Blick zurück auf die Flussschleife bietet. Das Bächlein windet sich hier aus Moosen heraus und zwischen Felsen hindurch, ein wunderbares Plätzchen mit grandiosem Ausblick für die erste Rast.
Schwer nur löste ich mich, begeisterte mich aber sofort und immer wieder für die wechselnden Landschaften, durch die der Pfad nun führt. Öfter hört man neben Bachmurmeln zugleich mehrere verschieden große Wasserfälle in unterschiedlichen Entfernungen, und sonst nichts – eine paradiesische Ruhe in überwältigender Natur.
Acht Kilometer sind es insgesamt bis zur ersten Schutzhütte im Park, die von der Forstverwaltung kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Vier Betten, ein Ofen und sogar ein Gasherd versprechen komfortablen Schutz bei widrigem Wetter. Ein erstaunlicher Service, denn schließlich muss alles zu Fuß oder per Helikopter hierher transportiert werden. An der Hütte traf ich Wanderer aus Norwegen, Schweden, Tschechien und Deutschland, die von unterschiedlichen Vorhaben und Erfahrungen berichteten. Manche waren bereits - mit Trockennahrung, Schlafsack und Biwak im Gepäck - mehrere Wochen unterwegs, denn der Rago geht nahtlos in die weit größeren schwedischen Nationalparks Padjelanta, Sarek und Stora Sjöfallet über.
Die Umgebung der Hütte ist äußerst reizvoll. Aus einem größeren See, der malerisch ins Gebirge eingebettet daliegt, fließt der Fluss heraus, den man hier auf einer Hängebrücke überqueren kann. Er bildet zunächst tosende Stromschnellen und stürzt dann als mächtiger Wasserfall in das nächsttiefere Becken. In einem Schuppen liegt ein Boot. Mein Reiseführer sagt zwar, man dürfe es bei gebührender Sorgfalt benutzen, aber da ich den dort aushängenden Text nicht übersetzen konnte und auch wenig Lust auf eine Ruderpartie hatte, machte ich mich lieber auf einen Erkundungsspaziergang in der Umgebung. Schließlich ging´s auf den Rückweg, zwar auf demselben Trail, aber nicht minder spannend. Eine unvergessliche Tour! Eines Tages werde ich dort oben übernachten und noch weiter vorstoßen.
Chris