Teil 29
Donnerstag, 20.06.2013
Kjøllefjord: Handelsplatz und Opferplatz der Sami
Mehamn: Mehamn Schlacht 1903
Gamvik: Nördlichste Gemeinde des Kontinents und Naturschauspiel „Scua gegen Rentier“
Nach dem langen Tag und der kurzen Nacht wachten wir gegen 10.30 Uhr auf. Der Himmel war verhangen. Laut Wetterbericht sollten es aber bis zu 21° C werden – Hochsommer in der Finnmark! Wir suchten ein kleines Café in Kjøllefjord, um unser verpasstes Frühstück oder so etwas Ähnliches nachzuholen. Dabei stöberten wir etwas durch den Ort, der immerhin ca. 1.400 Einwohner hat. Wie überall in der Finnmark ist der Fischfang und die Verarbeitung der Haupterwerb, vielleicht noch einmal abgesehen von den Verwaltungen – aber das kennen wir ja in Deutschland ohnehin.
In Kjøllefjord soll schon vor dem 16. Jahrhundert Handel betrieben worden sein. Um 1750, so kann man lesen, diente der Ort als Lagerplatz für die Produkte der Sami und als Tauschplatz für russische Händler. Handelsleute aus Bergen holten die Warfen hier oben ab.
Kjøllefjord
Von unserem Zimmer aus sahen wir schon den Grundriss der alten Kirche von 1738, die – ich wiederhole mich – beim Rückzug der deutschen Truppen ebenso wie der ganze Ort – mit Ausnahme von vier Häusern – niedergebrannt wurde.
Aber auch hier am Gedenkstein, den wir uns dann anschauten fanden wir keine „Verurteilungen“ sondern lediglich den Hinweis „Brent under Krigshandlingene Høsten 1944“ „Verbrannt durch Kriegshandlungen – Herbst 1944“. Jedes Mal, wenn wir vor so einer Tafel standen, schämten wir uns.
Wir fanden dann auch ein kleines Café, jedoch hatte es nur bis 14.30 Uhr geöffnet, und es war jetzt 12.30 Uhr und die Auslagen waren auch nicht mehr „gefüllt“. So etwas haben wir öfters erlebt, aber da die Orte eben kleiner sind, ist die Auswahl auch kleiner. Und Kuchen und Brötchen vom Vortag mögen auch die Norweger nicht. Für solche Fälle haben wir immer unsere Notration dabei, die auch stetig aufgefüllt wird: Kekse, Lefse und Knäckebrot und Wasser haben wir grundsätzlich dabei.
Kurz vor der Weiterfahrt kamen wir an einem Blumenmarkt vorbei. Gut, Honningsvåg und Mehamn liegen beide etwas nördlicher als Kjøllefjord. Aber dennoch kann sich dieser Blumenmarkt mit dem Titel „Einer der drei nördlichsten Blumenmärkte Europas“ schmücken – wobei wir wieder bei den Superlativen angekommen sind.
„Einer der drei nördlichsten Blumenmärkte Europas“ in Kjøllefjord
Der kleine Supermarkt in Kjøllefjord bot sogar einen „Hundeparkplatz“.
So machten wir uns auf den Weg nach Gamvik und die Wolken rissen auf und wir konnten auch Sonne genießen. Wir fuhren über die Berge, über die wir am Morgen gekommen waren.
Wir fuhren auf dem FV 894 durch das Øksevågdalen entlang des Storvatnet. Hier befindet sich angeblich der – was wohl? -, richtig, der „nördlichste Wald Norwegens“ auf 70° 57‘ N.
Oksevåg selbst war eine Walfangstation. Noch heute soll dort ein großer Dampfkessel stehen. Den gucken wir uns im nächsten Jahr an.
Kurz danach kamen wir an einen riesigen Lavvo vorbei – mit Zuwegung über den Fast-Permafrostboden.
Daneben befand sich ein typischer (?) Sami-Kleiderständer.
Sami-Kleiderständer
Und wieder trafen wir auf türkisblaues Wasser – in der Finnmark! Einfach unglaublich waren diese Farben bei Valen am Oksefjorden im Sonnenlicht.
Doch keine 10 Minuten später befanden wir uns wieder im Schnee an der Grenze zur Gamvik kommune.
Weiter ging die Fahrt entlang der Mehamnelva.
Kurz vor Erreichen von Mehamn sahen wir bei der Straßenmeisterei riesige Schneepflüge auf den nächsten Winter. Bei den Schneemassen, die wir im Winter von der Hurtigrute aus gesehen haben, sind wohl auch solche Schaufeln notwendig.
Die Mehamn-Schlacht 1903
In den 1870er-Jahren begann der industrielle Walfang vor der Küste der Finnmark. Eine finanzkräftige Gruppe aus dem Süden mit dem Unternehmer Sven Foyn an der Spitze baute mehrere Walfangstationen entlang der Küste der Finnmark. Sven Foyn war der Erfinder der Walharpune.
Um die Jahrhundertwende zum 20.Jahrhundert waren die Fischfangerträge der Saisonfischer vor der Küste erheblich reduziert. Die Fischer waren der Auffassung, dass die Wale die Fische an die Küste treiben würden, so dass hierdurch dem Saison-Fischfang vor der Küste die Grundlage entzogen wurde. Im Walstreit mit den norwegischen Fischern auf der einen Seite und den norwegischen Walfängern und Meeresbiologen auf der anderen Seite eskalierte der Streit über die Ursachen des Rückgangs der Fischbestände. Sogar der Storting, das Parlament im damaligen Christiania (bis 1924), heute Oslo, wurde eingeschaltet, jedoch ohne Erfolg. Der Auslöser für den Aufstand am 2.Juni 1903 war nämlich die Entscheidung des Parlaments, die Auseinandersetzung mit der Walfangfrage aufzuschieben.
Die Fischer sahen sich nunmehr ihrer wirtschaftlichen Grundlage beraubt. In der Nacht zum 2. Juni zerstörten zwischen 700 bis 1.500 Fischer die Zerstörung der größten Walfangstation in Mehamn und andere Stationen an der Küste. Letztlich wurde Militär eingesetzt, um wieder Ruhe und Ordnung zu schaffen. Es war das erste und letzte Mal, dass in Norwegen Militär zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung in diesem Fischerort eingesetzt wurde. Jahre später wurde der Walfang Jahre eingestellt.
Heute erinnern ein Mast mit Walausguckskorb sowie eine davor befindliche Walharpune an die „Mehamn-Schlacht von 1903.“
Erinnerung an die Schlacht von Mehamn 1903
Schließlich fanden wir malerisch direkt am Hafen gelegen, eine kleine Bäckerei mit Kaffee und Kuchen. Schnell hinein und einen Kaffee und Croissants bestelklt, die sehr lecker aussahen. Als wir mit dem Tablett nach draußen kamen, sagte ein Herr: „Setzen sie sich ruhig zu uns, wir beißen nicht.“ Das haben wir dann auch getan und uns recht angeregt mit einem Wohnmobilistenpaar in unserem Alter aus Hannover unterhalten. Wir erzählten von der „Hurtigrutenreise“ und dem Grund hierfür. Als wir von den Passagieren dort berichtetet, die sich über die hohen Preise in Norwegen beklagten, meinte der Hannoveraner: „Wenn man anfängt über eine Reise nach oder in Norwegen zu rechnen, kann man gleich zu Hause bleiben.“ Das sahen wir auch so.
Otto Jenssen Bäckerei in Mehamn
Nach dieser Unterhaltung setzten wir unsere Fahrt fort und kamen an der mächtigen Langkirche von Mehamn, die 1965 gebaut wurde vorbei.
Ach ja, wir mussten uns in Erinnerung rufen, dass wir uns in der arktischen Klimazone befanden, denn das Thermometer zeigte phänomenale 23° C an, wohlgemerkt in Plusgraden!
Der FV 888 nach Gamvik führte zwar durch eine karge Landschaft, bot aber tolle Aussichten
Entlang des Skittenfjorden
Der Ort Gamvik, nördlichste Gemeinde des Kontinents, empfing uns mit einem „aufgetakeltem“ Nordlandboot
und riesigen blaublühenden Lupinenfeldern.
Gleich hinter dem Ortseingang konnten wir einen „Windmühlenpark“ bewundern, der sich allerdings stark von denen vor unseren norddeutschen Küsten befindlichen unterschied.
Windmühlenpark
Oben auf dem Hügel thronte die wuchtige Kirche aus dem Jahr 1958.
Auf dem Weg zum Leuchtfeuer Slettnes machten wir Bekanntschaft mit dem lokalen Tourist-Guide „Rudi“, das Rentier, das gemächlich vor uns hin zockelte, bis es schließlich irgendwo abbog. Wahrscheinlich war „Rudi“ dort Zuhause.
„Rudi“ Tourist-Guide von Gamvik
Kurz vor dem Leuchtturm konnten wir ein wohl einmaliges Schauspiel sehen. Eine riesige Schmarotzerraubmöwe (Scua) grief einen nicht gerade kleinen Rentierbullen an. Wahrscheinlich war der Bulle zu nahe am Gelege.
Letztendlich gingen ihm aber wohl die Angriffe der Raubmöwe auf die Nerven und er zockelte, wenn auch langsam, davon.
Das war ein Schauspiel nach dem Motto der Nordkinn-Halbinsel: „Where nature rules.“
Dann standen wir vor dem Leuchtfeuer Slettnes, das – was wohl? – nördlichste Leuchtfeuer auf Festlandeuropa – denn auf Spitzbergen befinden sich weitere, allerdings kleine Leuchtfeuer.
Slettnes Leuchtfeuer
Im kleinen Café am Leuchtturm konnten wir uns etwas stärken. Außer uns war nur noch eine Familie mit ihren zwei kleinen Kindern im Café. Sie erzählten uns, dass sie bereits seit April unterwegs waren über das Baltikum, Schweden und Finnland nach Norwegen. Hmmm? Auszeit? Oder wie kann man sonst mit Familie, die auch noch klein waren, so etwa der und vier Jahre alt, so lange unterwegs sein. Nun denn, sei es ihnen gegönnt, nach dem Motto: „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum.“
Auf den Wiesen blühten überall Trollblumen. Bemerkung meiner Frau: „Zuhause musst du die im Blumenladenkaufen, hier wachsen sie wild.“
Etwas später sahen wir den zotteligen „Flüchtling“ noch einmal, als wir vom Leuchtturm zurückkehrten.
Gegen 15.30 Uhr machten wir uns auf den Rückweg und begegneten einem interessanten Gefährt: Eine Mischung aus Postbus und Lkw.
Hiervon sollten wir später noch mehrere sehen. Wir fanden es eine interessante und pragmatische Lösung für diese Gegend.
Im Hintergrund grüßte die Barentssee auf unserem Weg zurück nach Mehamn.
Oksfjorden
Gegen 17.30 Uhr trafen wir wieder in unserem Hotel ein, rechtzeitig zu einem Bier vor dem Abendessen.
Im Hafen lagen die Fischer und erfreuten sich wohl auch des Feierabends.
Jetzt konnten wir das Einlaufen der NORDLYS beobachten – fahrplanmäßige Ankunft. Aber da die Küstenstrecke nicht so überlaufen ist wie das deutsche Schienennetz, braucht Herr Grube sich daran kein Beispiel nehmen.
Die NORDLYS vor der Finnkirche.
Die Felsformation Finnkirche soll in alten Zeiten ein Opferplatz der Sami gewesen sein. Heute wird sie bei Dunkelheit während der Vorbeifahrt der Hurtigrutenschiff in allen möglichen Farben angestrahlt. Na ja, über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, oder doch?
Am Hurtigrutenkai warteten schon Lastwagen und andere Empfänger von Ladung.
Und zum Schluss lasse ich hier wieder einmal die Eindrücke meiner Frau sprechen:
„Schon oft habe ich beobachtet, wie gelassen die Leute in diesem Landstrich sind. So auch hier. Zufällig sehe ich gerade einige junge Leute, die sich laut und herzlich mitten auf der Fahrbahn begrüßen und auch nicht aus dem Weg gehen, als ein Auto kommt. Aber statt zu hupen, wie es bei uns mit Sicherheit der Fall gewesen wäre, fährt der Fahrer langsam und bedächtig daran vorbei. Aufregung? Fehlanzeige!
Ein anderes Beispiel aus Mehamn heute Vormittag: Zwei Autos blockieren die Fahrbahn, die beiden Fahrer unterhalten sich in aller Gemütsruhe. Sie machen auch keinerlei Anstalten weiterzufahren, als sich der Verkehr hinter ihnen staut. Die anderen Autofahrer müssen zusehen, wie sie an den beiden vorbeikommen. Auch hier, Aufregung? Fehlanzeige!
Im Hotel möchten wir gern zu Abend essen, doch leider ist das Restaurant, das eigentlich ganz nett ist und Blick auf den Fjord und die Finnkirche hat, nicht geöffnet. Zum Essen schickt man uns in das Erdgeschoss. Das ist Bar, Spielhalle und Restaurant in einem. Nur Blick hat man nicht. Hier trifft sich das Dorf. Allerdings nur das männliche. Der Billardtisch im hinteren Teil des Raumes ist bereits umlagert. Neugierige Blicke treffen uns. Ich kann nicht sagen, dass ich mich hier wohlfühle. Wir bestellen unsere Getränke und werfen einen Blick in die Speisekarte. Plötzlich kommt ein weiterer Mann hinzu und begrüßt uns wie alte Bekannte mit Handschlag. Entweder ist er betrunken oder er steht unter Drogen. Ganz geheuer ist er uns jedenfalls nicht. Es gelingt uns jedoch, ihn so freundlich wie möglich abzuschütteln. Nun geht es ans Essenbestellen. Wir entscheiden uns für Heilbutt. Ob es hier wohl auch Wein gibt? Es macht nicht den Eindruck, als wüssten sie überhaupt was Wein ist. Doch ich habe Glück. Als dann der Heilbutt kommt, ist die Enttäuschung groß. Der Fisch ist so trocken, dass er fast zu Staub zerfällt, und das Gemüse ist teilweise noch gefroren. Genießbar sind eigentlich nur Kartoffeln und Soße. Professionelle Köche waren hier jedenfalls nicht am Werk. Sehr schade.
Insgesamt ist der Service aber nicht schlecht, denn als Ronald nach einem zweiten Kopfkissen fragt, wird dieses im Handumdrehen gebracht. Wir wollen uns also nicht beschweren.
Zum Abschluss des Abends genießen wir die Sonne, die ihre Strahlen durch die mittlerweile aufgezogenen drohenden Wolken schickt und den Fjord in silbernes Licht taucht.“