Erlebnis Spitzbergen – Westküste mit MS Fram – 24.07. – 01.08.2013Tag 3 – Hornsund (76° 57′ N, 15° 46′ E) / Gnålodden (77° 01' N, 15° 52' E) – 26.07.2013
Nach dem Frühstück gehen wir in den Framheim Saal der sich auf gleichem Deck befindet, um den Informationen zur AECO (Association of Arctic Expedition Cruise Operators) und den Anlandungen mit dem Polar Circle Booten zu lauschen. Expeditionsleiterin Anja Erdmann erklärt alle wichtigen Details. Anlandungen sind auf eine bestimmte Anzahl von Personen limitiert und werden in Blöcken von je max. 3 Bootsgruppen durchgeführt. Heute beginnt unsere Gruppe (2) gefolgt von Gruppe 3 und Gruppe 4. Nach einer Pause und der Rückkehr der ersten (Tages)-Gruppe geht es mit den Gruppen 5, 6 und 7 weiter. Nach einer weiteren Pause folgen die letzten Gruppen des Tages. So soll gewährleistet werden, dass nicht mehr als drei Bootsgruppen gleichzeitig an Land sind. Die Anlandungen der Bootsgruppen erfolgen im Rotationsprinzip – so beginnt die nächste Anlandung mit Bootsgruppe 3.
Im Anschluss an die Infoveranstaltung erfüllt sich für viele Damen ein Traum; es können Schuhe anprobiert werden. Na ja, es handelt sich um die empfohlenen Gummistiefel, die bei sog. nassen Anlandungen getragen werden sollten. Eine Empfehlung, die wir ausdrücklich bestätigen. Die Gummistiefel sind sehr bequem, haben eine sehr gute, griffige und rutschfeste Sohle und sind (natürlich) absolut wasserdicht. Die Leihe kostet pro Paar 120 NOK für die Zeit der Seereise und stellt eine sinnvolle Investition dar. Die Gummistiefel werden für die Zeit der Seereise in einem Frachtraum auf Deck 2 in unmittelbarer Nähe zur Ein- und Ausstiegsrampe für die Polar Circle Boote nach Kabinennummer gelagert. Hier befinden sich auch die Rettungswesten, die bei Anlandungen mit den Polar Circle Booten getragen werden müssen.
Nach diesen organisatorischen Tagesordnungspunkten begeben wir uns an unseren Lieblingsplatz auf Deck 5 am Bug und lassen staunend die atemberaubende Landschaft des Hornsund an uns vorbeiziehen. Majestätische Gipfel, türkis/blau schimmernde Gletscherzungen und ein kalbender Gletscher ziehen uns in ihren Bann. Nur schwer können wir uns von diesem Anblick trennen um den kulinarischen Verlockungen des Mittagsbuffets beizuwohnen. Beim Anblick der zahlreichen Desserts überlege ich mir schon jetzt einen Trainingsplan zum Fettabbau nach der Seereise. Mahlzeit!
Die Anlandestelle Gnålodden erreichen wir alsbald und so gehen wir in den Standby-Modus. Zunächst verlässt das Expeditionsteam die MS Fram um die Anlandestelle zu sichten und zu sichern. Hier auf Spitzbergen hat die Natur und die lebenden Tiere Vorrang. Man hält also zunächst nach Eisbären Ausschau um diese nicht in ihrem Lebensraum zu stören. Wird ein Eisbär gesichtet, sucht das Team eine andere Anlandestelle. Trotz größter Umsicht kann es natürlich vorkommen, dass ein Eisbär wie aus dem Nichts auftaucht und sich neugierig und/oder hungrig der Anlandestelle nähert. Alle Mitglieder des Expeditionsteams tragen zur Gefahrenabwehr eine Signalpistole und ein Gewehr. Sollte sich ein Eisbär auf gefährliche Distanz nähern, wird zunächst versucht ihn mit der Signalpistole zu vertreiben. Durch den sehr lauten Knall und der nach oben abgefeuerten Signalmunition erschrickt in den meisten Fällen ein Eisbär und zieht sich zurück. Nur in absoluten Ausnahmefällen und bei akuter Gefahr eines Angriffs durch einen Eisbär wird vom Gewehr Gebrauch gemacht. Das Expeditionsteam hat eine entsprechende Schiessausbildung, welche in regelmäßigen Abständen aufgefrischt wird (Schussübungen) um das Tier möglichst mit dem ersten Schuss zu töten.
Das Expeditionsteam verteilt sich also und gibt nach etwa 30 Minuten den Anlandeplatz via Walkie-Talkie frei. Über die Bordsprechanlage werden wir (Bootsgruppe 2) gebeten auf Deck 2 zu kommen. Das Abenteuer der ersten nassen Anlandung beginnt. Rein in die Gummistiefel, Rettungsweste anlegen und schon stehen wir parat um ein Polar Circle Boot zu entern. Das kennen wir zwar schon von unserer letzten Seereise mit der MS Fram aber eine nasse Anlandung stellt am heutigen Tage die Premiere für uns dar. Die Cruise Card wird gescannt, die Bootscrew ist beim Einsteigen ins Boot behilflich und schon flitzt das mit seinen 9 Mann starken Besatzung (Bootsmann und 8 Paxe) besetzte Polar Circle Boot mithilfe eines 80 PS starken Außenborders los um fremde Galaxien und, ach nee, um Richtung Anlandepunkt zu gelangen. Dort angekommen wartet bereits ein Teil des Expeditionsteams um uns nicht nur in Empfang zu nehmen sondern auch aus dem Boot zu helfen. Ich hüpfe lässig und gekonnt von Bord als hätte ich nie etwas anderes gemacht. Okay, ich bleibe etwas mit dem rechten Fuß im Kies stecken und kann eine Rolle Vorwärts nur durch einen sportlich anmutenden Ausfallschritt mit dem linken Bein abwenden aber das fällt aufgrund der einhergehenden Dynamik dieser Aktion offenbar niemandem auf. Wir erhalten eine kurze Erläuterung was es hier so alles zu sehen und entdecken gibt, in welchem Radius wir uns bewegen dürfen und das wir ab jetzt eine Stunde Zeit haben. Dalli Dalli…!
Das Wetter geht von diesig und Nieselregen in neblig und Regen über. Wir lassen uns davon aber nicht beirren und erkunden die Landschaft. Die Attraktion an der Burgerbukta in Gnålodden ist der Vogelfelsen mit unzähligen Dreizehenmöwen und Dickschnabellummen. Außerdem steht hier noch die von Odd Ivar Ruud errichtete Trapperhütte, einem der letzten Eisbärenjäger auf Spitzbergen. Am Strand liegen riesige Felsbrocken inmitten saftiger und grüner Tundra Vegetation. Aus Sorge um meine Kamera mache ich nur ein paar Fotos, die zumeist ein schönes grau zeigen. Zum Glück sind wir Wind- und Wasserdicht gekleidet und so vergeht die Stunde Aufenthalt schneller als gedacht. Wir hätten natürlich auch jederzeit zurück an Bord der MS Fram gebracht werden können aber selbst bei diesem etwas schlechten Wetter zeigt sich die Umgebung in erstaunlich schöner Weise. Die Rückfahrt wird dann etwas ruppig und nass. Der Wind hat aufgefrischt und/oder gedreht und das Polar Circle Boot muss gegen die Wellen ankämpfen. Mir eröffnen sich nach Rückkehr auf die MS Fram zwei Erkenntnisse, 1. Nun wissen wir was eine nasse Anlandung bedeutet und 2. ich habe auch in nassen Regenhosen trockenen Humor.
Dennoch legen wir uns in der Kabine angekommen erstmal trocken. Zum relaxen und um uns etwas aufzuwärmen (am 26. Juli!!!) lassen wir uns eine Tasse Tee in der Cafeteria schmecken. Wir beobachten noch eine Weile die anderen Bootsgruppen und stellen fest, dass das Wetter auch für die leider nicht besser wird. Ein Blick auf das Tagesprogramm ruft uns in Erinnerung, dass heute zum Abendessen ein Menu serviert wird. Unsere Gruppe ist für die erste Abendessensitzung um 18 Uhr eingeteilt (Perfekt!) und wir bekommen Tisch 27 (Genial!). Für Interessierte; Tisch 27 ist ein Rundtisch für 6 Personen ganz im hinteren Teil (Heck) der MS Fram direkt neben dem für den Kapitän und Offiziere reservierten Tisch. Wir haben heute die Wahl zwischen Hähnchenbrustfilet und Heilbutt und entscheiden uns für den Heilbutt. (Näheres zur Verpflegung an Bord im Fazit).
Für 21:45 Uhr ist der Willkommensempfang unseres Kapitäns Benny Didriksen in der Observation Lounge auf Deck 7 geplant. Wir zwitschern zuvor noch ein Käffchen und wohnen dem Briefing für den morgigen Tag bei. Mittlerweile haben wir den Hornsund hinter uns gelassen und schippern in östlicher Richtung aufs offene Meer zu. Ist mir zwar ein Rätsel, da unser nächstes Ziel, der Bellsund, in nördlicher Richtung liegt aber okay. Der erwähnte Empfang des Kapitäns findet zwar statt, fällt aber recht kurz aus, weil das Gerücht einer Walsichtung die Runde macht. Hastig werden Offiziere, Crew und das Expeditionsteam vorgestellt, das Gläschen Sekt oder O-Saft runtergespült und ab geht es zur Walbeobachtung. Was nun folgt wird ein einschneidendes und einzigartiges Erlebnis werden. Ich stürze in unsere Kabine, ziehe mir warme Klamotten an und begebe mich mit Kamera bewaffnet auf Deck 5 zum Bug.
In der Ferne kann man sich bewegende dunkle Punkte und hochschießendes Wasser erkennen. Schnell wird erkennbar, dass es sich hier um eine Gruppe Wale handelt. Zwei- oder dreimal springt ein Wal aus dem Wasser um klatschend aufs selbige zu fallen und wieder abzutauchen. Ich kann nicht glauben, was ich da sehe und bin nicht in der Lage das zu fotografieren. Immer weiter nähert sich die MS Fram dem Ort des Geschehens und sehr deutlich kann man erkennen, dass hier etliche Wale auf- und abtauchen. Die Maschine der MS Fram steht still und wir treiben quasi geräuschlos im Wasser. Die Wale kommen immer dichter und wir sind inmitten einer riesigen Gruppe der Meeressäuger. Wohin man blickt sieht man Fluken und Blas. Einige Wale tauchen nur wenige Meter vom Schiff entfernt auf und wieder ab. Es sind Buckel- und Zwergwale. Wir sind ihnen so nahe, dass man die Geräusche, Töne und Laute die sie von sich geben, hören kann. Ein Buckelwal taucht direkt neben dem Bug auf und verharrt kurz in dieser Position. Fast scheint es so, als gucke er kurz, was er denn da vor sich hat um dann unter dem Schiff hindurchzutauchen. Unglaublich! Einem Buckelwal so nahe zu kommen, dass man seine knorrige, zerklüftete Schnauze anfassen könnte ist ziemlich ergreifend und absolut unbezahlbar.
Nach gut 45 Minuten entfernen sich die Wale und die MS Fram nimmt langsam wieder Fahrt auf. Später erfahren wir, dass der Meeresboden in dem Gebiet der Walsichtung steil abfällt und Wale zum Fressen von Krill und kleinen Fischen herkommen. Eine derart große Gruppe sei aber sehr ungewöhnlich. Von der Brücke aus habe man versucht die Wale zu zählen und ist auf eine Zahl von etwa 50 (!!) Meeressäugern, darunter 12 (!!!) Buckelwale gekommen. Mein ausdrücklicher Dank geht an dieser Stelle an Kapitän Didriksen, der durch gezieltes Manövrieren das sich uns bietende Schauspiel ermöglichte! Ein unvergessliches Erlebnis. Tusen takk!
Auch dieser ereignisreiche Tag neigt sich nun dem Ende entgegen. Bei einer Schale Kakao studieren wir des morgige Tagesprogramm und fahren so etwas herunter. Wir verkrümeln uns in unsere Kabine und wechseln die Körperhaltung in waagerechte Position auf der Matratze. Mitten in der Nacht und es ist noch immer hell. Die Mitternachtssonne macht mich langsam wuschig…
Fortsetzung: Tag 4