Rothosen gegen Blauhosen (Schüler)-Wer klärt auf ?

[Andree]

Moin,
zum x-ten Mal sieht/liest man von den Schülern, die Ende April/Mai, in kleinen Gruppen in roten, blauen oder (vereinzelt) schwarzen Hosen durch das Land ziehen. So viel ich weiß, soll ein Schulabschluß gefeiert werden. - Aber was genau ist der Hintergrund? Sollen die "Rothosen" die Russen symbolisieren? Wenn ja, warum? Und was bedeuten dann die blauen und die schwarzen Hosen ?
Gerne warte ich auf Eure Antworten - Danke vorab.
Andree

[beate]

Hei, Andree !

. So viel ich weiß, soll ein Schulabschluß gefeiert werden.

Das Interessante am Russefest ist, dass man es vorzieht, schon wochenlang vor dem Schulabschluss zu feiern.
(Vielleicht in weiser Voraussicht, dass manch einer hinterher nix mehr zu feiern hätte ?) .
Solche Feste sind oft ein mehrtägiges Saufgelage tausender von jungen Leuten, die noch mit speziellen Aufgaben verbunden sind, wie z.B. an soundsoviel Tagen mit soundsoviel fremden Männern schlafen usw. Es gibt aber auch harmlosere Spiele.
Ich bin nicht mehr ganz sicher, aber ich meine das Wort 'russ' wird abgeleitet vom lateinischen 'depositurus' oder so ähnlich, weil sie halt noch ein Examen abzulegen haben (lang ist's her mit Latein, lasse mich da gerne korrigieren).
Welche Bedeutung die Hosenfarbe hat, wüsste ich auch gerne. Vielleicht weiss jemand aus dem Forum noch Näheres ?

Ha det

beate

[Charly]

Der Ausdruck RUSS ist eine Verkuerzung des Begriffes "Cornua depositurus" (etwa: "Sich die Hoerner abstossen).

Die Farbe der Tracht spiegelt die Ausbildungsrichtung wieder.
RØDRUSS = allmenfag
BLÅRUSS = økonomifag
usw. - Es gibt ausserdem noch Hvitrusser und Sortrusser.

Die Tradition faellt netterweise mit der Unionsaufloesung 1905 zusammen, hat mit dieser jedoch nix zu tun. Vielmehr kommt das Ganze aus Daenemark, da es in Norwegen seinerzeit noch keine Unis gab und man - um in Kopenhagen studieren zu koennen - dort das "Examen artium" ablegen musste.

Die Sitte rote "luer" (=Muetzen) zu tragen wurde erstmals von deutschen Studenten eingefuehrt und prompt von den Norwegern adoptiert. Spaeter erstreckten sich die Russefarben dann mehr und mehr auf die gesamte Kleidung. Heute steckt da eine eintraegliche Industrie dahinter, die Jahr fuer Jahr die norwegischen Abiturienten mit den notwendigen Insignien austattet. Meistens sind die Russen nicht nur mit der farbigen Hose, sondern mit einem richtigen Overall ausgestattet, der auf keinen Fall waehrend der siebzehntaegigen Feierlichkeiten gewaschen werden darf.

Fysj!

Hilsen fra Tromsø,

Charly

[Horst Gassner]

Hallo Charly!

RØDRUSS = allmenfag
BLÅRUSS = økonomifag

Hmm, eines klingt nach Wirtschaft, aber das andere?
Jeg snakker ikke norsk!

austattet. Meistens sind die Russen nicht nur mit der farbigen Hose, sondern mit einem richtigen Overall ausgestattet, der auf keinen Fall waehrend der siebzehntaegigen Feierlichkeiten gewaschen werden darf.

Also so ist das...
... dann waren wohl diese roten und blauen Overalls, die wir jetzt ständig in den Lofoten gesehen haben, doch keine neue Modeerscheinung? Da liefen viele Jugendliche mit diesen arbeitsoverallähnlichen Dingern rum.

Schöne Grüße
Horst

[Charly]

Hei Horst,

die weiterfuehrenden Schulen ("Vidergående") haben in Norwegen etwa die Funktion des deutschen (auch oesterreichischen) Gymnasiums (obwohl es diese - "Gymnas" - auch hier gibt) und dort kann man sich schon in verschiedenen Fachrichtungen auf's Studium vorbereiten.

Muss man aber nicht.
Dann nimmt man halt "allmenfag" = allgemeinbildend.

Es gibt hier eine Reihe verschiedener Richtungen (z.T. vergleichbar mit den deutschen Fachoberschulen), die jedoch alle den allgemeinen Hochschulzugang zum Abschluss haben. Zu nennen waeren hier in erster Linie:

- sozialwissenschaftlich-wirtschaftlich
- Naturwissenschaften
- Sprache

Ausserdem gibt es eine Reihe von anderen Linien, auf die man sich auch spezialisieren kann, z. B.

- Musik, Kultur
und andere mehr, die jedoch in Kombination mit einer der obengenannten.

Oder man kann direkt berufsbegleitend an der "Videregåenden" seine Berufsausbildung machen, in Kombination von Theorie und Praxis, indem man sich direkt fuer eine spezielle Richtung entscheidet ( z.B. Kokkefag, Mechaniker usw.). Aber auch hier kann man das Abitur (=examen artium) machen.

Nicht jede Schule bietet allerdings alle Moeglichkeiten an und deshalb werden die Schueler schon oft relativ jung zu auswaerts wohnenden.

Umso besser laesst sich die "Russetid" verbringen ohne die elterliche Aufsicht...

Gruesse aus Tromsø,

Charly

[trolljenta]

Wer sich in den ersten Maiwochen schon mal nach Norwegen verirrt hat, hat bestimmt schon die vielen Jungen Leute in ihren auffallenden roten oder blauen Anzügen gesehen, die durch die Strassen ziehen. Das sind die Abiturienten, in Norwegen "Russ" genannt, die ihren Schulabschluss feiern, auf eine Art und Weise wie es hier in Norwegen schon seit vielen Jahren Tradition ist. Das Wort Russ ist eine Abkürzung vom Lateinischen "Coruna Depositurus", was übersetzt soviel bedeutet wie sich die Hörner ablegen. Der Einfachheit halber wurde es auf die letzten drei Buchstaben verkürzt und dann wurde irgendwann noch ein S dran gehängt: Fertig war das Wort Russ! Die Russefeste gehen zurück bis ins die Zeit wo Norwegen noch keine eigene Universität hatte und die Studenten zum Studieren nach Kopenhagen mussten. Um zum Studium zugelassen zu werden, mussten die Studenten ein Examen, das sogenannte Examen Atrium abgelegt werden. Die Anwärter waren durch ein Horn zu erkennen und wurden von den älteren Studenten geneckt. Bei der Zensurenbekanntgabe mussten die Kandidaten einzeln nach vorne treten und wenn das Examen bestanden war, wurde das Horn entfernt, als Zeichen für Weisheit und das das unwissende Tier im Menschen entfernt war. Daher der Begriff Coruna Depositurus. Die Zeremonie wurde Examen Depositurus genannt und erst danach durften die Schüler sich als Studenten bezeichnen. Nachdem 1811 die erste Universität in Oslo ihre Tore öffnete brachten die Studenten diese Tradition aus Dänemark mit. Ursprünglich gab es diese Tradition in vielen Ländern, aber nur in Norwegen ist sie noch lebendig. Im Jahre 1904 kamen Studenten aus Deutschland nach Norwegen und diese trugen rote Mützen. Das wurde ein Jahr später von den Gymnasiasten übernommen und so begründete sich die Tradition mit den roten Russe Mützen. Etwas später fingen auch die Mädchen an diese Mützen zu tragen. Ab 1916 gab es das erste Wirtschaftsgymnasium in Norwegen und diese Schüler begannen damit blaue Mützen zu tragen, was bis heute so geblieben ist. Die Feste selber haben sich im Laufe der Jahrzehnte schon verändert. Während man früher die Aufnahme an der Universität feierte, so ist es heute das Ende der Schulzeit und das Abitur was man feiert. Zwischen den Examensprüfungen und der Bekanntgabe der Zensuren liegen einige Wochen "tote" Zeit und in der finden die Russefeste statt, in der Form wie man sie heute überall in Norwegen kennt. Im Laufe der Jahre sind da viele Rituale und Traditionen entstanden, oft auch abhängig von Schule und Region. Fester Bestandteil aller dieser Feste sind jedoch überall in Norwegen Schüler die wochenlang ausgelassen feiern, Russetaufe, Russeprinz und Prinzessin, Russehochzeit und Autos die der Loveparade in Ausstattung und Lautstärke locker Konkurrenz machen können. Die Russe selber erkennt man überall an ihren roten oder blauen Hosen und Pullis, die mit Bildern und frechen Sprüchen bedruckt sind, die Mützen, das Rohrstöckchen und der Trillerpfeife.

[Horst Gassner]

Hi Charly, hi Trolljenta!

Vielen Dank für eure sehr ausführlichen Antworten!

Ja, diese roten und blauen Anzüge waren auch bedruckt. So genau habe ich aber nicht hingesehen, aufgefallen sind mir z.B. weiße Handabdrücke. Und trillern habe ich auch gehört

Schöne Grüße
Horst

[trolljenta]

ja, sie sind weder zu übersehn, noch zu überhören... Bei uns in der Nachbarschaft sind schon die ganze Zeit Russepartys im gang, was im klartext bedeutet das unabhängig vom Wochentag von abends 22 bis morgens zwischen 3 und 5 der Bass dröhnt das wir es selbst bei geschlossenem Fenster hören. Aber da der Spuk eh bald wieder vorbei ist üben wir uns wie alle anderen Anwwohner in Norwegischer gelassenheit und toleranz

[Michaela]

... was im klartext bedeutet das unabhängig vom Wochentag von abends 22 bis morgens zwischen 3 und 5 der Bass dröhnt das wir es selbst bei geschlossenem Fenster hören...

Also auch wir wohnen in der Nähe eines beliebten Russenfestplatzes und ich muß sagen, mich nervt es ab und zu ganz schön an. Ich habe nichts gegen das Festen, Grillen und sich Freuen. Bei mir hört es aber auf, wenn sie meinen, überall hin urinieren zu müssen, zu laut sind (nicht nur die Musik, man hört ja ein Dauergegröhle)und andere anpöbeln....Alles in gesundem Maße ist erträglich....
Ich freue mich auf den 17.Mai, dann ist der Spuk vorbei. Zum Glück findet man auch "russenfreie" Lokale!!!
die Michaela

[Andree]

Hei,
danke für all' die ausführlichen Erklärungen.
Es hat auch andere interessiert, darüber freue ich mich auch.
Bleibt nur noch als Abschluß, frei nach "Werner" // Meister Rörich :"Hilfe, die Russen sind im Keller !"
Takk og med hilsen
Andree

[Bjørn]

ja, sie sind weder zu übersehn, noch zu überhören... Aber da der Spuk eh bald wieder vorbei ist üben wir uns wie alle anderen Anwwohner in Norwegischer gelassenheit und toleranz

Hei trolljenta,
da hast du völlig recht - obwohl - hast du schon den artikel in der Aftenposten gelesen ? http://www.aftenposten.no/nyheter/iriks ... eID=546342
Wenn's dumm läuft, könnten für Samstag dann u. U. Chaostage (nächte) angesagt sein. Schaun mer mal.....

Hilsen
Björn

[Jesco]

So ganz weit her ist es aber nicht mehr mit der norwegischen Gelassenheit. Denn der Aftenposten hat vor ein paar Tagen gemeldet, dass immer wieder Klagen bei der Polizei eingehen gegen die Russen-Busse (bis zu 1000 Klagen in Oslo in einer Nacht). Und im nächsten Jahr werden dann wohl auch Beschränkungen mitgegeben, wieviel Watt (oder was war das noch) erlaubt sein sollen.

Ein bisschen feiern sollte ja auch erlaubt sein, aber es gibt auch irgendwo Grenzen. Wenn die z.B. in der Nacht um 03.00 Uhr von einer Feier wiederkommen, muss ja nun nicht wirklich extra beim Vorbeifahren an einem Wohngebiet die Musik erst aufgedreht werden, dass hat nämlich mit Feiern nichts zu tun. Da hat jemand Spass am Aufwecken anderer Leute. Und Klingelmäuschen zu diesen Zeiten macht auch sehr viel Spass, insbesondere wenn man am nächsten Tag arbeiten muss.

~Jesco

[trolljenta]

klar gibt es Grenzen, und das die bei den Russefeiern immer wieder überschritten werden ist auch nichts neues. Ich hab allerdings den Eindruck das es dieses Jahr im vergleich zu den vergangenen Jahren doch ehr ein bisschen ruhiger abgeht. Ich denke das die Russ schon auch aus den Ereignissen der letzten Jahre vieleicht ein bisschen gelernt haben wenn ich nur an das schwere Russebuss Unglück vor 2 Jahren denke.
Bei uns im Wohngebiet beschränkt sich die belästigung auf den Bass und damit kann ich die 17 tage lang leben. Morgen hat der Spuk ja eh ein Ende