In meinem letzten Thema " Fragen an einen Norweger" wurde sehr viel über Mobbing in Verbindung mit dem 2. Weltkrieg geschrieben. Das hat mir keine Ruhe gelassen.
Lest mal was Gabriella aus dem Forum " Skandinavienfreunde " dazu geschrieben hat.
Das habe ich so noch nicht gelesen.
Ich mußte vor einiger Zeit für einen Landeskundekurs an der Uni ein Referat über die "Tyskertøsene" halten also über die Frauen, die während der Okkupation ein Verhältnis mit einem Deutschen hatten. Ich war mir bisher nicht sicher, ob dieses Thema hier ins Forum passt, da es einen sehr negativen Aspekt unseres Lieblingslandes zeigt. Aber da jetzt schon die Themen "Tyskerbarn" und "Lebensborn" angesprochen wurden, habt ihr vielleicht auch Interesse, diesen Text zu lesen.
Tyskertøsene - Die Deutschenhuren
Im 2. Weltkrieg und fast bis in unsere Zeit galt das Wort "Tyskertøs" als eines der schlimmsten Schimpfworte in Norwegen. Es wurden damit alle Frauen bezeichnet, die während der Okkupation ein Verhältnis mit einem Deutschen hatten, egal welcher Art das Verhältnis war. Man schätzt, daß im Laufe des Krieges 40 bis 50.000 Frauen zwischen 15 und 30 Jahren sexuellen Kontakt mit dem Feind unterhielten. Als Resultat dessen wurden in Norwegen während des 2. Weltkrieges 10 bis 12.000 sog. Tyskerbarn geboren - die Deutschenkinder.
Es gab kein Gesetz, das den norwegischen Frauen Kontakte zu deutschen Soldaten verbot aber in der öffentlichen Meinung galt dies als unnational. Schon früh während der Okkupation sah man es als Landesverrat der schlimmsten Sorte an. Bereits 1941 warnte London Radio norwegische Frauen vor sexuellen Kontakten mit Deutschen: Dort konnt man z.B. hören das: "Die Frauen denjenigen, die die Aufgabe hatten, Norwegen zu unterdrücken, nicht das Leben erleichtern sollten!". Die Deutschenhuren und später auch ihre Kinder waren Mobbing und schlimmen Schikanen ausgesetzt. Viele verloren ihre Arbeit, ihre Familien zogen sich von ihnen zurück, sie wurden zur Abtreibung aufgefordert und als Denunzianten beschimpft - sie wurden aus der Gesellschaft ausgestoßen.
Mit der Befreiung am 8. Mai 1945 wurden diese Frauen vielerorts zum Freiwild. Trotz der Parole der Heimatfront "Ruhe - Würde - Disziplin" wurde den Frauen die Haare abgeschnitten, man bespuckte sie, sie wurden verprügelt und ihre Kleider zerrissen. Meist waren es junge Männer, die diese Handlungen ausführten, niemand hielt sie auf. Im Gegenteil: Oft sammelten sich beigeisterte Zuschauer um das Geschehen. Viele Frauen nahmen sich nach diesen Demütigungen das Leben. Die Zeitungen warnten dann auch bald vor dieser Art von Rache: "Stoppt die Brutalität" wurde geschrieben. Aber es gab auch Leserbriefe dieser Art: "Ja, Hure, du warst die Schlimmste von allen, man sollte dir ein Hakenkreuz einbrennen."
Nach und nach begannen die Behörten mit der Internierung der Frauen in insgesamt 9 Lagern, angeblich um sie vor der Straßenjustiz zu schützen. Das größte Lager mit Platz für 2000 Frauen lag auf Hovedøya bei Oslo. Insgesamt wurden 5000 Frauen ohne gesetzliche Grundlage und Verurteilung 1 1/2 Jahre festgehalten. Ihre Kinder wurden ihnen weggenommen. Kåre Olsen vom norwegischen Staatsarchiv hebt in seinem Buch "Krigens barn - de norske krigsbarna og deres mødre" (Die Kinder des Krieges - die norw. Kriegskinder und ihre Mütter) von 1998 hervor, daß ca. 14.000 "Tyskerjenter" - Deutschenmädchen interniert gewesen sind. Die Internierungslager erinnerten stark an Gefangenenlager. Dies weckte mit der Zeit Widerstand aber es dauerte bis zum April 1946 bis das letzte Lager geschlossen und die Frauen entlassen wurden.
Im Juli 45 informierte der Reichspolizeichef in einer Pressekonferenz in Oslo über das Problem mit den Deutschenhuren. Er äußerte dort: "Man muß sich sehr hüten all jene Frauen über einen Kamm zu scheren, die während der Okkupation Umgang mit den Deutschen hatten. Es gibt nämlich mehrere Kategorien Deutschenmädchen:
1. Die Straßenmädchen, die bereits vor dem Krieg Prostituierte waren. Oft leiden diese an Geschlechtskrankheiten und sind deshalb eine Gefahr für ihre Umgebung. Um diese hat sich die Polizei gekümmert.
2. Die Frauen, die nicht nur ein Verhältnis zu einem Deutschen hatten, sondern auch als Denunziant aufgetreten sind oder auf andere direkte Weise der Okkupationsmacht geholfen haben. Sie werden vor Gericht gestellt.
3. Aber es gibt noch eine dritte Kategorie von Frauen, denen gegenüber sowohl die Behörden als auch das Volk umsichtig sein müssen, damit keine nicht wieder gutzumachenden Schäden entstehen. Das sind die Frauen, die in einem Verhältnis zu einem einfachen Deutschen stehen. Diese Frauen sind oft sehr jung und unerfahren. Und man sollte bedenken, daß ein solches normales Liebesverhältnis nicht gegen Gesetzte verstößt. Niemand kann diesen Frauen verbieten, sich mit dem betreffenden Deutschen zu verheiraten, aber es kann sie auch niemand dazu zwingen."
Ich vermute, daß die meisten Deutschenmädchen dieser letzten Kategorie angehörten. Doch trotz aller mahnenden Worte des Polizeichefs, für die meisten Norweger waren diese Frauen 1945 alle Huren. Für viele wurde die soziale Ausgrenzung eine Strafe, die sie nie überwanden. Kåre Olsen schreibt daß die unglaubliche Aggression gegenüber jenen Frauen nicht nur auf der Straße zum Vorschein kam, sondern auch im Rechtswesen und in der Psychatrie. Frauen, die den deutschen Feind heirateten, verloren ihre norwegische Staatsbürgerschaft. Gemeinsam mit ihren Kindern wurden sie zwangsverschickt in ein zerstörtes Deutschland. Viele Frauen und Kinder wurden unter unmenschlichen Verhältnissen regelrecht auf Frachtschiffen verstaut und mit den Soldaten nach Deutschland verschifft.
Der Haß gegenüber den Deutschenhuren war groß aber der Haß gegen die Deutschenkinder wurde nach Kriegsende wenn möglich noch größer. Die Kinder, die gemeinsam mit ihren Eltern nach Deutschland geschickt wurden, kamen noch gut davon, verglichen mit den tausenden von Tyskerunger die in Norwegen aufwuchsen. Es war eine Schande, einen Okkupationssoldaten zum Vater zu haben. Die Kinder wurden als Gefahr für die Nation angesehen, selbst wenn sie noch klein waren. Über sich selbst sagen die Kriegskinder heute: "Wir sind Kinder des Krieges, aber Opfer des Friedens"
Kinder, die man den Müttern weg genommen hatte, kamen ins Kinderheim oder zu Pflegefamilien. Man holte Kinder nach Norwegen zurück, die während des Krieges bei deutschen Verwandten gelebt hatten. All dies geschah ohne Rücksicht auf das Wohl der Kinder. Es wurde sogar versucht, norwegische "Tyskerbarn" nach Australien zu schicken. Im November 1945 erhielten die australischen Behörden das Angebot 8000 Tyskerbarn zu übernehmen. Der "Handel" kam nicht zustande aber man kann sich fragen, welche Bezahlung Norwegen erwartete oder auch, was Australien wohl mit 8000 Kindern sollte.
Die meisten Deutschenkinder waren ihre gesamte Kindheit hindurch Mobbing, physischer und psychischer Gewalt und sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Sogenannte Forscher behaupteten, die Hälfte von ihnen sei geisteskrank und zurückgeblieben. All dies führte zu Schäden, unter denen die Tyskerbarn ihr Leben lang zu leiden hatten und haben.
Das die Rachsucht des Volkes sich in diesem Maße über die Unschuldigsten erstreckte, ist unbegreiflich.
Die Behandlung der "Tyskertøsene" und der "Tyskerbarn" ist lange Zeit ein Tabuthema in Norwegen gewesen. Während die Frauen möglichst nicht an ihre Schmach erinnert werden wollen, haben die Deutschenkinder begonnen, sich zu organisieren z.B. im "Krigsbarnforbund" - Verband der Kriegskinder. Vor einigen Jahren forderten die Kriegskinder vom Staat eine Erstattung für die Mißachtung der Menschenrechte während ihrer Kindheit. Dies wurde vor Gericht mit der Begründung abgewiesen, der Fall sei verjährt.
In seiner Neujahrsrede 2000 bat der damalige Staatsminister Kjell Magne Bondevik die Kriegskinder für ihre Leiden um Vergebung. Aber niemand hat sich je bei den Deutschenhuren entschuldigt.
©Text: Gabriella
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"I de siste dager har jeg tenkt og tenkt på Nordlandssommerens evige dag" Pan - Knut Hamsun