Erfahrungsbericht Norwegen

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Erfahrungsbericht Norwegen

Beitragvon suza_phone » Sa, 21. Feb 2004, 16:24

Ob man in Norwegen negative oder positive Erfahrungen macht, ist sicher nicht nur von der persoenlichem Einstellung abhaengig, sondern auch ganz stark davon, in welchen Landesteil man auswandert, bzw. welche berufliche Verantwortung man hat.

Meine sehr negativen beruflichen Erfahrungen habe ich Bergen gesammelt. (Im privaten hab ich sehr prositive Erfahrungen gemacht und sehr viele nette und offene Norweger kennengelernt).

Laut Auskunft meiner norwegischen Freunde aber ist Bergen auch "Norwegens merkwuerdigster Ort". Am noerdlichsten Ende des Bibelguertels der Westkueste gelegen, hat Bergen unter Norwegern zu dem den Ruf ultra-konservativ und auessert chauvinistisch zu sein.

Ich habe vor 1,5 Jahren eine Professur in Bergen angenommen. Da das norwegische Bildungssystem - zumindest in meinem Fachbereich - sehr stark zu wuenschen uebrig laesst, hat die norwegische Regierung die "Kvalitetsreform" erlassen. Diese Reform fordert die Angleichung der norweg. Hochschulen an ein internationales Niveau und bringt damit zahlreiche Veraenderungen mit sich.
Wenn man diese Reform durchfuehren will, kommt man schnell an den Punkt, an dem Norwegen bzw. Bergen wirklich unangenehm wird.

Ein norwegischer Freund hat das so in Worte gefasst: "Du willst in Norwegen etwas veraendern - und du bist auch noch Auslaender!? Vergiss es." Zum Trost hat er mir dann ein Bier bestellt.

Veraenderungen sind in Norwegen ein wirklich eeeeewig dauernder Prozess und fuer jeden Schritt nach vorne geht es fuenf wieder zurueck. Veraenderungen beduerfen natuerlich auch Diskussionen und ergeben manchmal Konflikte, diese werden aber grundsaetzlich grosszuegig umschifft. Was ich in meiner Arbeit wirklich vermisse, ist eine offene, direkte Art die Dinge beim Namen zu nennen. Eigentlich haben Skandinavier doch den Ruf so offen und ehrlich zu sein? Well, in Bergen sind sie's nicht.
Norweger haben ein sehr stark verschluesselte und leise Art, ihrem Gegenueber Kritik zu aeusseren, bzw. wird im direkten Gespraech Kritik oft nur angedeutet. Dahinter steht meiner Erfahrung nach eine enorme Konfliktscheue. Man darf aber nicht glauben, dass nicht auch sehr direkt kommuniziert wird. Hinter dem Ruecken des Anderen wird allerdings oft kritisiert oder sogar richtig gehetzt. Diese Erfahrungen macht man nicht nur als Auslaender.

Oft hab ich das Gefuehl, dass das Wort eines Norwegers mehr zaehlt, als das eines Auslaenders. Da hilft auch kein perfektes Norwegisch. Dabei werden andererseits immer wieder Auslaender in Fuehrungspositionen geholt, fuer die sich kein Norweger qualifizieren kann oder will.

Mein norwegischen Freunden sagen, dass sei eine typische Generationsfrage:
die alte Generation (ab 40 Jahre) sei eben immer noch stark lokal orientiert mit wenig Interesse fuer das, was draussen in der Welt passiert und habe diese anerzogenene Kritik- und Konfliktscheue. Das sei absolut typisch. Fuer diese Leute bedeuten jemand "von Aussen" und Veraenderungen ein unnoetiges Aergerniss, dass das gemuetliche norwegische Leben durcheinander bringt.

Interessant ist auch, dass ich mein Berufsleben als aeusserst hierarisch erlebt habe - was man auch nicht unbedingt vermuten wuerde. So etwas wie eine Diskussionskultur - gleichberechtigt am runden Tisch Themen eroertern und Meinungen austauschen - scheint weitgehend unbekannt. Wenn man in diesem Sinne einen Vorschlag in die Runde wirft und um Feedback bittet, verstehen Norweger diesen Vorschlag oft als Dogma und reagieren entsprechend ablehnend, d.h. reagieren mit Schweigen (was man niemals als Zustimmund deuten darf!) und inszenieren womoeglich "hinten rum" ein Riesengezeter, weil sie sich bedroht fuehlen. Allerdings ist meine Hochschule landesweit fuer diese hierarchische Haltung auch bekannt.

Alles in allem liebe ich meinen Beruf, und bin dankbar fuer alle positiven Erfahrungen in Norwegen, meine grossartigen norwegische Freunde, die immer ein troestendes Wort und viel Verstaendnis fuer meine beruflichen Sorgen haben - aber es muss wirklich keine Professur oder andere Fuehrungsposition in Norwegen sein. Und erst recht nicht an der beruechtigten Westkueste.

:)

Mein Rat an potentielle Auswanderer:
Am Anfang, wenn moeglich ein Bein in Deutschland halten. Die Dinge langsam angehen und nicht gleich in der Anfangseuphorie (ueber die herzliche, aber leider oft sehr oberflaechliche Liebenswuerdigkeit der norweg. Kollegen) uebersiedeln. Meiner Erfahrung braucht man, auch wegen des etwas gemaechlicheren norwegischen Tempos, ca. 1 Jahr bis man weiss, wie der Hase hier laeuft.

Mein Rat an Studenten:
Sich wirklich gut ueberlegen, ob Norwegen der richtige Ort fuer das Studium ist. Die anvisierte Universitaet auf Herz und Nieren pruefen. Zumindest im meinem Fachbereich ist die Ausbildung bisher weit hinter deutschem Niveau. Deswegen gibt es ja jetzt auch die Kvalitetsreform. Bis die sich allerdings wirklich durchsetzen kann vergehen noch Jahre ...
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Re: Efahrungsbericht Norwegen

Beitragvon Arne.R. » Sa, 21. Feb 2004, 17:54

Moin.
Danke, hast dir ja viel Mühe gemacht, mit deinem ausführlichen Beitrag. Selbiger würde sicher auch richtig praktisch hilfreich werden, wenn du uns mal wissen ließest, was genau denn dein ominöser Fachbereich nun eigentlich ist. Oder ist das ne streng geheime Abteilung des Verteidigungsministeriums? :?: :-)

Gruß,
Arne
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Re: Efahrungsbericht Norwegen

Beitragvon Helmer » Sa, 21. Feb 2004, 19:52

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Re: Efahrungsbericht Norwegen

Beitragvon Arne.R. » Sa, 21. Feb 2004, 20:17

Helmer hat geschrieben:Hei Arne, sei nicht so neugierig. :!: :wink:


Warum denn nicht :?: :?: :?:
Neugier ist überlebensnotwendig! Keine Neugier = Bewahrung des Gestern, Stillstand, Erstarrung, Tod... :idea: :wink:

Gruß,
Arne
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Re: Efahrungsbericht Norwegen

Beitragvon Helmer » Sa, 21. Feb 2004, 20:43

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Re: Efahrungsbericht Norwegen

Beitragvon Arne.R. » Sa, 21. Feb 2004, 21:24

Helmer hat geschrieben:Lieber zu spät aufgeklärt als zu früh abgeklärt! :shock: :wink:

...mit anderen Worten also:
Lieber dumm sterben als klug am Leben bleiben... :shock:

Naja...das sehe ich aber anders - ganz anders....

Gruß :mrgreen:,
Arne
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Re: Efahrungsbericht Norwegen

Beitragvon Helmer » Sa, 21. Feb 2004, 21:50

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Re: Efahrungsbericht Norwegen

Beitragvon Arne.R. » Sa, 21. Feb 2004, 22:33

Jou! Frei nach Schweinchen Dick:
"Immer schön fröhlich bleiben!"

Ebenfalls ein schönes WE!

Arne
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Re: Efahrungsbericht Norwegen

Beitragvon snowstorm » Mo, 23. Feb 2004, 0:13

Hallo!
suza_phone hat uns lediglich Einblick in ihre/seine negativen Auswanderer-Erfahrungen gegeben. Horst hat den ursprünglichen Thread ja geschlossen...

Es wäre nett zu erfahren in welchem Fachbereich du gearbeitet hast.

Gruss Patricia
snowstorm
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Re: Efahrungsbericht Norwegen

Beitragvon suza_phone » Mo, 23. Feb 2004, 0:49

snowstorm hat geschrieben:Hallo!
suza_phone hat uns lediglich Einblick in ihre/seine negativen Auswanderer-Erfahrungen gegeben. Horst hat den ursprünglichen Thread ja geschlossen...

Es wäre nett zu erfahren in welchem Fachbereich du gearbeitet hast.

Gruss Patricia


Ich moechte damit nicht unbedingt hausieren gehen(verstaendlicherweise, oder), aber ich gebe gerne einen Hint:
Mein Fachgebiet ist ein sog. "kreatives" Fach, das in Deutschland (auch in der Schweiz, Grossbritannien und Niederlanden) eine sehr lange Tradition hat, aber in Norwegen noch ziemlich neu ist. Freie Kunst ist es nicht.

:)

Viel Spass beim Raten.
suza_phone
 
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Re: Efahrungsbericht Norwegen

Beitragvon Jürgen R. » Mo, 23. Feb 2004, 1:06

suza_phone hat geschrieben:Viel Spass beim Raten.

Bist Du Psychater oder Psychologe :oops: ??? --- dann würde ich ebenfalls schon jetzt 100 % norwegisch denken :bounce: :prost: :bounce: !!!

Gruß Jürgen
Jürgen R.
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Re: Efahrungsbericht Norwegen

Beitragvon Arne.R. » Mo, 23. Feb 2004, 9:31

suza_phone hat geschrieben:Ich moechte damit nicht unbedingt hausieren gehen(verstaendlicherweise, oder


Nö. Nicht verständlich. Verstehe ich wirklich nicht.
Darf man in Bergen nicht seine Meinung laut sagen oder was ist der Grund?

Gruß,
Arne
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Re: Efahrungsbericht Norwegen

Beitragvon Bjørn » Mo, 23. Feb 2004, 13:54

es ist doch m. E. ziemlich Wurscht, welches Fach Suza_ phone letztlich doziert. Das eigentliche Thema ist für mich doch ein völlig anderes. Und offenbar besteht in diesem Forum für diejenigen, die es erkannt haben, eine ausgeprägte Sprachlosigkeit. :flenner:

Ihre/seine Aussagen lassen sich für meine Begriffe auf folgendes focussieren:

:arrow: Es besteht in West-Norwegen (und Bergen is ja nu keen Dorf !) ein ausgeprägter Konservatismus, der, und das im negativen Sinne, mit Engstirnigkeit und kleinbürgerlicher Sturheit gleichzusetzen ist.

:arrow: Verhält man sich als Ausländer nicht unauffällig und angeglichen, trifft man auf eine (fast nicht mehr) unterschwellige Ablehnung, die sich u.a. darin äußert, daß man Ausländer auf Stellen mit einem überhöhtem Abschußquotient verheizt.

:arrow: Das Hochschulniveau in N sei zumindest in Teilbereichen auf einem so bedenklichen Level, daß angehenden Studiengängern eine intensive Vorprüfung ans Herz gelegt wird.

Bei näherer Betrachtung erschließt sich insbesondere unseren Auswanderwilligen die eigentliche Brisanz dieser Aussagen. :puppydogeyes: Und dabei meine ich noch nich mal die teilweise überzogen euphorischen Aussagen, wonach im gelobten Lande bekanntlich alles besser un in Deutschland alles für de Füße is :klo:

Nun sehe ich persönlich keine Veranlassung, den Wahrheitsgehalt des Threads und somit gar die Glaubwürdigkeit seines Verfassers infrage zu stellen. Andererseits kollidiert er jedoch teilweise diametral mit den Erfahrungsberichten anderer "Norweger", deren Glaubwürdigkeit für mich gleichfalls keine Diskussionsgrundlage darstellt.

Was bleibt ist eine respektvolle Nachdenklichkeit. :!:

Meine persönlichen Erfahrungen mit N und Norwegern sind auch überwiegend im Westküstenbereich (Nordmöre) angesiedelt. Einerseits kann ich den zitierten Konservativismus bestätigen, andererseits würde ich in meiner Beurteilung jedoch nicht soweit gehen, wie bei suza_ phone geschehen. Das kann jedoch durchaus mit der Tatsache zusammenhängen, daß man einen verwandten Ausländer mit anderen Augen als einen "fremden" Ausländer betrachtet.

Schließlich möchte ich für die Anonymität von suza_phone noch ne Lanze brechen. Sie hat mit ihrem Thread ungemeinen Mut bewiesen. Bei derart deutlichen Worten ist es nämlich durchaus denkbar, daß bei einer "Enttarnung" zumindest latente Repressalien seitens ihres Arbeitgebers erwogen werden.

Und wie sowas läuft - hübsch unter der Oberfläche und im Bezug natürlich völlig themenfremd verpackt - kennen leider auch viele von uns hier in D nur zu genau

fürchtet
Björn
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Re: Efahrungsbericht Norwegen

Beitragvon Julia » Mo, 23. Feb 2004, 15:05

Bjørn schrieb:

"Es besteht in West-Norwegen (und Bergen is ja nu keen Dorf !) ein ausgeprägter Konservatismus, der, und das im negativen Sinne, mit Engstirnigkeit und kleinbürgerlicher Sturheit gleichzusetzen ist."

Dieser Satz ist hart (oder empfinde ich ihn nur so, weil ich mir die hierzulande gebotene Vorsichtigkeit in allen Äusserungen schon angewöhnt habe???), trifft aber, wenn man ihn ein klein wenig weniger krass nimmt, nicht nur auf Bergen, sondern auf viele andere, vor allem "Distriksregionen" zu.

Ich sehe hier im Thread aber schon wieder ein Problem, bzw. mehrere Probleme. Verzeiht mir, wenn ich mich im Folgenden vielleicht nicht immer ganz "geglückt" ausdrücke - es ist für mich nicht leicht, das richtig zu formulieren und rüberzubringen. Zerreisst mich also bitte nicht gleich :-)

Zum Einen wird hier das Hochschulniveau angesprochen, und hier kann man eigentlich beinahe Bildungsniveau sagen, denn zu relativ grossen Teilen trifft das sicher auch auf die Schul- und nicht nur auf diue Hochschulbildung zu. Nun kann man natürlich diskutieren inwieweit die Methoden und Vergleichspunkte relevant sind und inwieweit man überhaupt die Ausbildungssysteme der Welt direkt miteinander vergleichen kann. Es gibt sicher Punkte, wo man sich streiten kann, ob das Vor- oder Nachteile sind.
Ich würde nun auch nicht gerade das deutsche Schulsystem in den Himmel loben, zumindest nicht überall. Da gibt es auch enorme Unterschiede! Und jeden, der behauptet, man erhält in Deutschland an jeder Schule eine gleich hochwertige Bildung, nenne ich einen Lügner, bzw. einen, der mit verbundenen Augen durch die Weltgeschichte spaziert.

Was mir persönlich generell immer deutlicher wird, je länger ich im Ausland lebe, ist dass die Deutschen immer so unglaublich perfekt, leistungsverlangend und kritikübend sind. Und hier sind wir eigentlich schon beim zweiten Punkt, nämlich ist das eigentlich immer gut? Muss man immer am Besten sein? Muss man es dem anderen immer so deutlich machen, dass man besser ist? Jeder hält sich doch immer selbst am besten! Da machen auch die Norweger keinen Unterschied. Aber wie bringt man das rüber? Auf die bescheidene und sympatische oder die besserwisserische und ignorante Art?

Es muss sicher nicht so konservativ wie in Norwegen sein; Norwegen ist in vielen Dingen zurück, es ist ja ein kleines Land, in dem (noch) ein Teil der Probleme der Welt (z.B. Umweltverschmutzung) ein weit weniger grosses Thema sind, auch wenn das immer mehr kommt und die Norweger sich dem lauf lange auch nicht mehr entziehen können, selbst wenn sie es wollten (Beispiel EU-Mitgliedschaft). Aber muss man seinem Gegenüber immer alles so unverblümt und direkt an den Kopf hauen? Ist nicht ein wenig Diplomatie und Respekt voreinander genau das, woran es in Deutschland auch ein wenig fehlt? Es wird auch in Norwegen kritisiert! Wer einmal eine politische Debatte im Fernsehen verfolgt, kann darüber gar nicht im Zweifel sein. In Norwegen ist eine Konkurswelle angebrochen, die in der neueren Wirtschaftsgeschichte des Landes ihresgelichen sucht. Niemand darf den Angestellten, deren Arbeitsplätze in Gefahr sind, vorwerfen, nicht offen und kreativ nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.

Jeder hat sicher sein Idealbild eines Wirtschafts- und Sozialsystems, eines Bildungssystems, überhaupt die Lösung aller Weltprobleme auf der Hand. Das Problem ist nur, dass diese Lösungen bei jedem anders aussehen und (ich behaupte auf die ein odere andere Art immer) einen egoistischen Anstrich haben. Es gibt doch sicher auch in Deutschland niemanden, der freiwillig auf irgendwelche Privilegien und Mittel verzichten würde, nur damit andere in weniger bevorteilten Regionen der Welt etwas mehr bekommen können? Ob Norwegen oder Deutschland, jeder nutzt billige Arbeitskraft, sofern man sie erhalten kann, jeder denkt in erster Linie an seinen persönlichen Geldbeutel, bevor er an das Allgemeinwohl denkt. Also ist auch niemand besser. Jeder verucht auf seine Art, sein eigenes Auskommen zu optimieren. Das ist in Norwegen nicht anders.

Als es bei uns in der Schule darum ging, ein Jahr vordem Abi ins Ausland zu gehen (meist USA) argumentierten auch viele dagegen, da das Bildungsniveau dort so ungleich niedriger sei. Trotzdem haben in meinem Bekanntenkreis Leute, die dort entweder studiert oder ein Schuljahr verbracht haben, davon nur Vorteile gehabt, und wenn es nur der war, einen erweiterten Blickwinkel erhalten zu haben. Die Fähigkeit, sich in einem internationalen Milieu zurechtzufinden und durchsetzen zu können, wird nämlich immer noch unterschätzt (auch in Deutschland), obwohl die Welt nicht nur in Europa immer internationaler wird. Es gibt sicher nichts, was man an Wissen nicht nachholen und sich woanders beschaffen kann, wenn man interessiert und clever genug ist. Auslandserfahrungen jedoch kann man nur im Ausland machen, und in den grossen, internationalen Konzernen der deustchen Wirtschaft weiss man das und honoriert es entsprechend.

Für mich persönlich zählt deshalb der internationale und zwischenmenschliche Aspekt mehr als der Leistungs-, Anspuchs- und Qualitätsaspekt, auch wenn dieser natürlich nicht unwichtig ist. (Und das sagt eine, die in ihrer Schulzeit als Streber verschrien war).

Die wichtigste Eigenschaft in einer internationalen Gemeinschaft ist Offenheit, Anpassungsfähigkeit und auch die Fähigkeit, sich selbst und seine Anschauungen mal mit einem Fragezeichen zu versehen, und jeder Auswanderer, egal wohin in die Welt, muss sich internationalen Gesichtspunkten stellen. Wer das nicht kann oder dazu nicht bereit ist, der sollte von einer Auswanderung (egal wohin) absehen.

Ich kann nur noch einmal betonen, was hier schon so oft gesagt worden ist (einige aber offensichtlich immer noch nicht verinnerlicht haben, denn es gibt immer noch ungläubige und ernüchternde Aufschreie nach jedem offenen und nicht nur positiven Auswanderbericht): In Norwegen ist nicht alles Gold, was glänzt. Hier gibt es viele Probleme, viele sicher nicht ideale Arbeitsplätze und genug an zwischenmenschlichen Herausforderungen. ABER WO GIBT ES DAS BITTESCHÖN NICHT??? Das ist doch die Frage. Also? Eben.
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Re: Efahrungsbericht Norwegen

Beitragvon Arne.R. » Mo, 23. Feb 2004, 15:25

@Bjørn:
Ich finde nicht, daß wir Ausgewanderten besonders euphorisch sind. :?: Warum findest du das?

Ich persönlich wäre zurückhaltender mit Schlußfolgerungen wie:
"Das Hochschulniveau in N sei zumindest in Teilbereichen auf einem so bedenklichen Level, daß angehenden Studiengängern eine intensive Vorprüfung ans Herz gelegt wird."
oder
"Verhält man sich als Ausländer nicht unauffällig und angeglichen, trifft man auf eine (fast nicht mehr) unterschwellige Ablehnung (...)"
auf der Basis eines einzigen Postings mit persönlichen Erfahrungen. Ohne diese Erfahrungen angreifen zu wollen, wohlgemerkt. Aber von Repräsentativität kann ja wohl keine Rede sein. Und von Teilbereichen war in dem Posting von suza-phone auch nicht die Rede. Und nur weil suza-phone Probleme mit der Akzeptanz als Ausländer(in?) hat, muß "man" die ja nicht auch gleich bekommen. Daß es das offensichtlich gibt, und daß suza-phone sowas offenbar erlebt (hat), ja klar. Aber ich persönlich würde mich nicht soweit aus dem Fenster hängen mit solchen Pauschalisierungen.

Und deswegen eben, genau weil diese Erfahrungen sehr wahrscheinlich nicht für einige und schon gar nicht alle Studienbereiche in Bergen gelten, hätte ich eben ganz gerne gewußt, in welchem Bereich das denn nun offenbar doch der Fall ist. Ich kenne nämlich auch jemanden, der sich überlegt, in N zu studieren.

Und was ist denn an suza-phones Erfahrungen brisant? Ich finde das (leider) völlig normal. Warum sollte es das in N denn nicht geben? Hier in Trondheim hat gerade eine Angestellte der Kommune die Kommune wegen Mobbings verklagt. Das ist schon die dritte Klage gegen denselben Vorgesetzten. Also warum soll nicht auch mal ein Ausländer Mobbingopfer werden? In der Schule meiner Kinder läuft ne Antimobbing-Kampagne...

Es ist nicht alles toll in Norwegen. Hat meines Wissens hier aber auch noch nie jemand behauptet. Dagegen erinnere ich mich an eine ganze Menge Postings, wo genau das Gegenteil festgestellt wurde. So wie eben gerade von Julia.

Gruß,
Arne
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