Ob man in Norwegen negative oder positive Erfahrungen macht, ist sicher nicht nur von der persoenlichem Einstellung abhaengig, sondern auch ganz stark davon, in welchen Landesteil man auswandert, bzw. welche berufliche Verantwortung man hat.
Meine sehr negativen beruflichen Erfahrungen habe ich Bergen gesammelt. (Im privaten hab ich sehr prositive Erfahrungen gemacht und sehr viele nette und offene Norweger kennengelernt).
Laut Auskunft meiner norwegischen Freunde aber ist Bergen auch "Norwegens merkwuerdigster Ort". Am noerdlichsten Ende des Bibelguertels der Westkueste gelegen, hat Bergen unter Norwegern zu dem den Ruf ultra-konservativ und auessert chauvinistisch zu sein.
Ich habe vor 1,5 Jahren eine Professur in Bergen angenommen. Da das norwegische Bildungssystem - zumindest in meinem Fachbereich - sehr stark zu wuenschen uebrig laesst, hat die norwegische Regierung die "Kvalitetsreform" erlassen. Diese Reform fordert die Angleichung der norweg. Hochschulen an ein internationales Niveau und bringt damit zahlreiche Veraenderungen mit sich.
Wenn man diese Reform durchfuehren will, kommt man schnell an den Punkt, an dem Norwegen bzw. Bergen wirklich unangenehm wird.
Ein norwegischer Freund hat das so in Worte gefasst: "Du willst in Norwegen etwas veraendern - und du bist auch noch Auslaender!? Vergiss es." Zum Trost hat er mir dann ein Bier bestellt.
Veraenderungen sind in Norwegen ein wirklich eeeeewig dauernder Prozess und fuer jeden Schritt nach vorne geht es fuenf wieder zurueck. Veraenderungen beduerfen natuerlich auch Diskussionen und ergeben manchmal Konflikte, diese werden aber grundsaetzlich grosszuegig umschifft. Was ich in meiner Arbeit wirklich vermisse, ist eine offene, direkte Art die Dinge beim Namen zu nennen. Eigentlich haben Skandinavier doch den Ruf so offen und ehrlich zu sein? Well, in Bergen sind sie's nicht.
Norweger haben ein sehr stark verschluesselte und leise Art, ihrem Gegenueber Kritik zu aeusseren, bzw. wird im direkten Gespraech Kritik oft nur angedeutet. Dahinter steht meiner Erfahrung nach eine enorme Konfliktscheue. Man darf aber nicht glauben, dass nicht auch sehr direkt kommuniziert wird. Hinter dem Ruecken des Anderen wird allerdings oft kritisiert oder sogar richtig gehetzt. Diese Erfahrungen macht man nicht nur als Auslaender.
Oft hab ich das Gefuehl, dass das Wort eines Norwegers mehr zaehlt, als das eines Auslaenders. Da hilft auch kein perfektes Norwegisch. Dabei werden andererseits immer wieder Auslaender in Fuehrungspositionen geholt, fuer die sich kein Norweger qualifizieren kann oder will.
Mein norwegischen Freunden sagen, dass sei eine typische Generationsfrage:
die alte Generation (ab 40 Jahre) sei eben immer noch stark lokal orientiert mit wenig Interesse fuer das, was draussen in der Welt passiert und habe diese anerzogenene Kritik- und Konfliktscheue. Das sei absolut typisch. Fuer diese Leute bedeuten jemand "von Aussen" und Veraenderungen ein unnoetiges Aergerniss, dass das gemuetliche norwegische Leben durcheinander bringt.
Interessant ist auch, dass ich mein Berufsleben als aeusserst hierarisch erlebt habe - was man auch nicht unbedingt vermuten wuerde. So etwas wie eine Diskussionskultur - gleichberechtigt am runden Tisch Themen eroertern und Meinungen austauschen - scheint weitgehend unbekannt. Wenn man in diesem Sinne einen Vorschlag in die Runde wirft und um Feedback bittet, verstehen Norweger diesen Vorschlag oft als Dogma und reagieren entsprechend ablehnend, d.h. reagieren mit Schweigen (was man niemals als Zustimmund deuten darf!) und inszenieren womoeglich "hinten rum" ein Riesengezeter, weil sie sich bedroht fuehlen. Allerdings ist meine Hochschule landesweit fuer diese hierarchische Haltung auch bekannt.
Alles in allem liebe ich meinen Beruf, und bin dankbar fuer alle positiven Erfahrungen in Norwegen, meine grossartigen norwegische Freunde, die immer ein troestendes Wort und viel Verstaendnis fuer meine beruflichen Sorgen haben - aber es muss wirklich keine Professur oder andere Fuehrungsposition in Norwegen sein. Und erst recht nicht an der beruechtigten Westkueste.
:)
Mein Rat an potentielle Auswanderer:
Am Anfang, wenn moeglich ein Bein in Deutschland halten. Die Dinge langsam angehen und nicht gleich in der Anfangseuphorie (ueber die herzliche, aber leider oft sehr oberflaechliche Liebenswuerdigkeit der norweg. Kollegen) uebersiedeln. Meiner Erfahrung braucht man, auch wegen des etwas gemaechlicheren norwegischen Tempos, ca. 1 Jahr bis man weiss, wie der Hase hier laeuft.
Mein Rat an Studenten:
Sich wirklich gut ueberlegen, ob Norwegen der richtige Ort fuer das Studium ist. Die anvisierte Universitaet auf Herz und Nieren pruefen. Zumindest im meinem Fachbereich ist die Ausbildung bisher weit hinter deutschem Niveau. Deswegen gibt es ja jetzt auch die Kvalitetsreform. Bis die sich allerdings wirklich durchsetzen kann vergehen noch Jahre ...