von Voyager » Do, 07. Mär 2013, 22:50
Am Montag, den 04.03.2013 (4. Tag einer 12-tägigen Reise) kurz vor Mitternacht kam es zur Schiffshavarie der M/S Kong Harald, deren Folge ein Abbruch der Reise am 05.03. war.
Hier die Ereignisse aus der Sicht eines deutschen Passagiers (alle Zeitangaben sind ca. Zeiten):
Wetter: kaum Wind, klare Sicht, Temperaturen knapp unter null Grad
04. März
ab 23:00 Uhr: Durchfahren des 26 km langen Raftsund, dabei ab 22:45 warme Fischfrikadellen (gratis) und heißer Tee mit Rum (gegen Bezahlung) draußen auf Deck 7 der Kong Harald
23:45 Uhr: Der Trollfjord wird erreicht. Geplant ist, in diesen nicht - wie im Sommer - hinein zu fahren (wegen Schnee-und Eislawinen von den Seitenwänden) sondern nur die 70 m breite Einfahrt mit den Schiffsscheinwerfern zu beleuchten und dann den Raftsund weiter in Richtung Harstadt zu befahren.
23:50 Uhr: M/S Kong Harald fährt langsam an der 70m breiten Einfahrt zum Trollfjord vorbei, beleuchtet diese und fährt dann laut krachend auf einen quer zur Fahrtrichtung ca. 1 Meter aus dem Wasser ragenden Fels auf.
23:59 Uhr: Ansage der Bordreiseleiterin: Es tut mir leid Ihnen sagen zu müssen, dass das Schiff auf Grund gelaufen ist. Kommen Sie bitte alle mit warmen Sachen in den Panorama-Salon auf Deck 7.
05. März
00:10 Uhr: Die Rettungsboote auf Backbord werden halb heruntergelassen.
00:30 Uhr: Alle 258 Passagiere sind auf Deck 7 (Panorama-Salon) versammelt. Ansage der Bordreiseleiterin: Der Kapitän hat mich angerufen und lässt folgendes ausrichten: Man hat das gesamte Schiff kontrolliert und festgestellt, dass es keinen Wassereinbruch gibt. (Wie sich am 6. März herausstellte stimmt dies nicht: siehe Bemerkung unter 6. März unten) Man wird die Flut abwarten und dann versuchen, wieder rückwärts von dem Felsen herunter zu kommen. Alle Passagiere können wieder auf ihre Kabinen gehen und weiterschlafen. Morgen früh gibt es weitere Informationen.
01:00 Uhr: Beginn der Versuche durch Einsatz aller Schiffspropeller und Strahlruder wieder frei zu kommen; dabei Vibrieren des ganzen Schiffes – an Schlaf ist zumindest in den Heckkabinen auf Deck 3 nicht zu denken.
02:30 Uhr: Das Schiff ist wieder frei, scheint aber in seinem Antrieb und seiner Bewegung beeinträchtigt. In langsamer Fahrt fährt das Schiff zurück nach Svolvær, wo es gegen 05:00 Uhr eintrifft.
08:00 Uhr: Information der Bordreiseleiterin: Reise ist zu Ende! Alle Passagiere werden im Laufe des Tages an Ihre Herkunftsorte bzw. Zielorte weitertransportiert. Sie erwähnt, vorläufig sei geplant, die Passagiere von den nächsten Flughäfen „one by one“ auf freien Kapazitäten der Linienmaschinen zurück zu bringen.
09:00 Uhr: Es findet eine Telefon-Konferenz (Schiff- Hurtigrutenzentrale) statt bei der Weiteres besprochen und entschieden wird. Als mögliche Flughäfen werden Bodø und Harstadt/Narvik (Evenes) genannt.
11:00 Uhr: Abfahrt von Passagieren mit Endziel Tromsø per Bus (Fahrtzeit 6 Stunden)
13:00 Uhr: Information der Bordreiseleiterin über die Rückreise aller Gäste, die mit Charterflug von Düsseldorf gekommen sind. Abfahrt 14:00 Uhr mit Bussen zum Flugplatz Evenes
14:00 bis 17:00 Uhr: 160 km - Fahrt über die E 10 unter winterlichen Bedingungen über die Lofoten und Vesterålen nach Flughafen Evenes. Der Transfer erfolgte durch Linienbusse der Lofoten. Die Fahrt verlief reibungslos.
18:15 Uhr: Abflug vom Flughafen Evenes. Der Rückflug wurde von der polnischen Fluggesellschaft Enter Air mit einer Boeing 737-800 durchgeführt und verlief planmäßig und gut. Das Flugzeug kam ohne Passagiere von Warschau und machte einen guten Eindruck.
21:00 Uhr: Eintreffen am Flughafen Düsseldorf
6.März
Aus der norwegischen Presse entnehme ich, dass es doch zu einem Wassereinbruch in einem Ballast-Tank gekommen ist. 68 Kubikmeter (68 Tonnen) Wasser sind eingedrungen.
Beobachtungen und Beurteilungen:
Die Passagiere reagierten auf den Abbruch der Reise einerseits gefasst, aber andererseits auch sehr enttäuscht. Eine Panik kam nicht auf.
50% der Gäste trugen die Havarie mit Fassung und gingen danach wieder in Ihre Kabinen, um zu schlafen
Die anderen 50% der Gäste waren beunruhigt und suchten Ihre Kabinen nicht mehr auf, sondern blieben in den Gemeinschaftsräumen und schliefen nicht.
Bei den Passagieren herrschte vollkommenes Unverständnis, wie ein modernes Schiff, das mit allen technischen Hilfsmitteln ausgestattet ist, auf einen klar zu sehenden - quer zur Fahrtrichtung liegenden - Felsen auffahren kann.
Ebenso rätselhaft ist es, wie einem Kapitän, der 20-jährige Erfahrung auf dieser Strecke hat und genau in dieser Gegend aufgewachsen ist, ein solches Missgeschick widerfahren kann.
Bei den Passagieren wurde berechtigter Weise diskutiert, warum überhaupt in stockdunkler Nacht ein solch zusätzliches Risiko eingegangen werden muss, nur um den Eingang zum Trollfjord zu „beleuchten“ und den Passagieren einen „Nervenkitzel“ zu bieten.
Es entstand der Eindruck, dass vom Schiff und von den Hurtigruten Alles getan wurde, um die Havarie „klein zu reden“.
Die Abwicklung des Schiffsnotfalls war professionell. Die Gäste bedauerten allerdings, dass der Kapitän nie ein beruhigendes oder erklärendes Wort an seine Passagiere richtete; er überließ dies der Bordreiseleiterin Anita.
Die Rückführung der Gäste von Svolvær nach Deutschland verlief schnell und reibungslos und war eine logistische Meisterleistung.
Gerüchteweise ist zu erfahren, dass die Hurtigruten einigen Gästen als Kompensation die Erstattung von 8 Seereisetagen angeboten haben (bei einer Buchung Bergen-Kirkenes Bergen). Dies wird von allen Passagieren als unverschämt und „knausrig“ empfunden und erste Gruppen taten sich zusammen für eine mögliche Sammelklage.
Für die Hurtigruten wird es jetzt darauf ankommen die Gäste großzügig und unbürokratisch zu entschädigen – wobei auch die besonderen Unannehmlichkeiten eines solchen Unglücks und die vertane Urlaubszeit zu berücksichtigen sind. Falls dies nicht gelingt wird sich Hurtigruten auf eine Einspruchs- und Klagewelle einstellen müssen und es wird zu einem Imageschaden für Hurtigruten in der Öffentlichkeit kommen.