Mindestloehne oder Sozialdumping ?

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Mindestloehne oder Sozialdumping ?

Beitragvon Alsterix » Sa, 16. Apr 2005, 10:15

In den deutschen Zeitungen lese ich in den letzten Wochen dass erneut in der Politik in Deutschland ueber die moegliche Einfuehrung eines gesetzlichen Mindestlohnes diskutiert wird.
Im Bereich des Baugewerbes gibt es eine solche Regelung ja schon seit Jahren wobei man ueber deren Wirksamkeit sicher streiten kann.

In Norwegen gibt es dazu bislang keine gesetzliche Regelung und der Zustrom von billigen Arbeitskraeften vor allem aus Osteuropa loest auch hier eine Debatte vor allem in den politischen Parteien und den Gewerkschaften aus. Bislang sind - noch - sehr viele Bereiche durch gute Lohntarifvertraege einigermassen abgesichert aber die Gewerkschaften sehen sich mit dem Ruecken an der Wand stehen und es werden immer wieder Faelle von extrem schlechter Bezahlung und Missachtung oder Umgehung gesetzlicher Sozialbestimmungen bekannt.

Am schlimmsten scheint es mittlerweile im Bereich der Reinigungsunternehmen zu sein - die LO (das ist der Zusammenschluss der Gewerkschaften, etwa wie der DGB) berichtet heute in aftenposten von Stundenloehnen die bis auf 22 NOK gedrueckt worden sein sollen !
Mein letzter Spediteur (norwegische Firma, keine auslaendische !) hat ihren ausnahmslos aus dem EU-Ausland rekrutierten Fahrern seit 1995 gleichbleibend 80 NOK Stundenlohn gezahlt, seit dem vergangenen Herbst ist (noch vergeblich allerdings) versucht worden diesen ohnehin schon zu niedrigen Satz auf 60 NOK zu druecken :x
Vor zwei Wochen berichtete aftenposten ueber eine Fischverarbeitungsanlage der Firma "Fishexport" in Midsund/Romsdal. Dort wird seit einiger Zeit eine groessere Zahl Estlaender beschaeftigt. Laut LO erhalten die nur einen Tageslohn von 200 NOK - dem widerspricht die Firmenleitung und sagt es sei ein Stundenlohn von 60 NOK......
Der Artikel steht hier http://www.aftenposten.no/nyheter/iriks ... 005226.ece
Der besondere Dreh bei diesem letzten Fall ist dass "Fishexport" die gesamte Anlage auf dem Papier an eine estlaendische Firma vermietet hat. Die estlaendischen Arbeiter werden in Estland eingestellt und bezahlt und werden immer nur fuer sechs Wochen nach Norge gebracht, so dass sie offenbar keine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis benoetigen, so jedenfalls eine erste Stellungnahme der Polizei :-?

Dazu ein weiteres Mal das Zitat von Michael Moore :
" Wir koennen Gesetze verabschieden, die Konzerne daran hindern uns zu schaden." :wink:



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Re: Mindestloehne oder Sozialdumping ?

Beitragvon Heli » Sa, 16. Apr 2005, 11:26

Hei Alsterix,

ich denke Du hast Dich gut vorbereitet und wartest schon auf meine Antwort hierauf, oder? :wink:

Das Thema das Du hier ansprichst wird in der Tat europaweit unter dem Stichwort "EU Dienstleistungsrichlinie" diskutiert. Ein Paradebeispiel dafür ist der estländische Fischverarbeiter in Norwegen den Du genannt hast. Aber auch der deutsche Ingeneur der vor Ort ausländische Unternehmen berät, oder die Montagetruppe der Heidelberger Druckmaschinen AG.

Genaueres (bei Interesse) gibts unter: http://lexikon.bmwa.bund.de/Navigation/ ... ionen.html

Gruß aus dem (heute definitiv nicht) sonnigen Larvik!

P.S. :idea: Ich finde man sollte Mindestsonnenstunden in Norwegen per Gesetz einführen. Wir könnten ja einen Volksentscheid darüber durchführen lassen. :wink:
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Re: Mindestloehne oder Sozialdumping ?

Beitragvon Alsterix » Sa, 16. Apr 2005, 17:39

Der Kern der Sache ist die Frage ob da eine selbstaendige Taetigkeit vorliegt oder Arbeitnehmerstatus bejaht werden muss.
Bei den sogenannten Freien Berufen wie dem Beratenden Ingenieur aus Deinem Beispiel darf man das annehmen, hier kann ohne Frage unter bestimmten Voraussetzungen ein eigenes Gewerbe gefuehrt werden.
Bei 100% weisungsgebundenen Tageloehnern die fuer einen einzigen Betrieb schuften und von diesem abhaengig sind liegt mit Sicherheit keine Unternehmereigenschaft vor.
Wenn hier ein selbststaendiges Gewerbe behauptet wird hat das allein den Zweck nationale und europaeische Richtlinien zu umgehen und unter anderem die eben noch nicht zugelassene Freizuegigkeit von Arbeitnehmern aus den letzten EU-Beitrittslaendern einzig und allein zum weiteren Lohndumping schon jetzt vorwegzunehmen.
Niemand wird ernsthaft behaupten koennen dass Arbeitnehmer in Norge von Stundenloehnen in Hoehe von brutto 60 oder sogar 22 NOK leben koennen. Nach meiner Auffassung ist es kein Zufall dass dieselben Auftraggeber auch mit schoener Regelmaessigkeit bei Verstoessen gegen nahezu alle anderen denkbaren Bestimmungen auffallen, beispielsweise bei der Arbeitssicherheit sowie Steuern und Abgaben.
Ich finde im uebrigen dass sich nicht nur die Verantwortlichen Betreiber in hohem Masse sozial schaedlich verhalten - schon so etwas zuzulassen ist einfach unverantwortlich......... :cry:


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Re: Mindestloehne oder Sozialdumping ?

Beitragvon Alsterix » Sa, 16. Apr 2005, 17:48

Heli hat geschrieben:ich denke Du hast Dich gut vorbereitet und wartest schon auf meine Antwort hierauf, oder?


Hei Heli -
sorry, nicht wirklich, dazu ist mir das Thema zu ernst.
Ich warte hoechstens darauf dass in Norge schnellstmoeglich per Gesetz Mindestloehne eingefuehrt werden und in Deutschland ebenso......
In der Sache ist dringender Handlungsbedarf gegeben, in Deutschland wohl sogar noch viel mehr als hier in Norge. Es gibt genug Beispiele anderer europaeischer Laender wie etwa Frankreich wo so etwas nicht als sozialistische Utopie betrachtet wird sondern einfach funktioniert.
Mindestloehne gibt es uebrigens - wenn auch auf sehr bescheidenem Niveau - sogar in der Mehrzahl der neuen EU-Beitrittslaender :wink:
Gerade Norge laeuft auf dem Gebiet Gefahr eine Menge zu verlieren wenn nicht gehandelt wird.


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Re: Mindestloehne oder Sozialdumping ?

Beitragvon Alsterix » So, 15. Mai 2005, 10:31

Am vorletzten Freitag berichtete unsere Lokalzeitung aus Sarpsborg mit Auszuegen aus einem Arbeitsvertrag und weiteren Belegen ausfuehrlich ueber einen recht extremen Fall aus Halden :
Da ist eine norwegische Firma (nennen wir sie mal ABC A/S) die in Norwegen Dienstleistungen anbietet (genaue Branche wurde nicht genannt). Die norwegische Firma ist aber nur "Repraesentant" einer polnischen GmbH die - rein zufaellig - ebenfalls ABC (plus polnische GmbH) heisst (und der norwegischen Firma obendrein laut Handelsregister zu 50% gehoert).

Diese polnische Firma schickt nun Arbeiter aus Polen zu folgenden Bedingungen nach Norge :

1. Die Firma uebernimmt die Kosten der Anreise und der Unterkunft
2. Die Firma zahlt fuer die tatsaechlich geleisteten Arbeitsstunden brutto 40,- NOK pro Stunde
3. Verpflegung und weitere Kosten des Aufenthalts tragen die Mitarbeiter selbst
4. Die Firma zahlt keinen Garantielohn - gibts keine Arbeit dann gibts auch kein Geld
5. Als Kuendigungsfrist ist ausdruecklich "sofort=keine Kuendigungsfrist" vereinbart, das heisst der Arbeitgeber kann jederzeit mit sofortiger Wirkung kuendigen
6. Die Kosten der Heimreise sind von den Mitarbeitern an die Firma zurueckzuzahlen, d.h. sie werden mit der Lohnzahlung verrechnet
7. Die Mitarbeiter sind zu absolutem Stillschweigen ueber alle Verhaeltnisse der Firma und ganz besonders ueber den Lohn verpflichtet - Zuwiderhandlungen begruenden die sofortige Entlassung !

Noch Fragen ?


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Re: Mindestloehne oder Sozialdumping ?

Beitragvon Thies » So, 15. Mai 2005, 13:29

Die ganze Diskussion ist sicher sehr interessant.

Bisher konnte mir aber folgende Frage nie beantwortet werden - die ich völlig emotionslos zu betrachten bitte, und die für jeden Wirtschaftszweig gilt, egal ob dort hohe oder niedrige Vergütungen bezahlt werden und die für Norwegen genauso gelten muss wie für Deutschland:

"Wie lässt sich dauerhaft ein höherer Lebensstandard rechtfertigen, wenn die Wertschöpfung je Zeiteinheit in einem Land nicht höher ist als in einem anderen?"

Die Antwort dürfte recht schwierig sein.

Um es zu verdeutlichen. Wenn wir in D nicht in der LAge sind, pro Stunde eine höhere Leistung zu erbringen, z.B. dadurch, das wir bessere Auto sbauen, Software programmieren etc., dann werden wir uns darauf einstellen müssen, dass unserer Lebensstandard nicht dauerhaft höher sein wird (sein kann) als in Polen, Estland, Indien etc.

Oder anders ausgedrückt, nur was an Geld in ein Unternehmen hineingeht, kann auch in Form von Vergütungen wieder an Mitarbeiter rausgehen. In vielen Wirtschaftsbereichen geht es gar nicht daraum, dass sich irgendjemand die Taschen vollstopft, sondern darum, dass schlicht kein Geld im Unternehmen steckt. Das es andere Fälle gibt, soll damit nicht bestritten werden.

Da können wir soviel Gesetze schaffen, wie wir wollen. Die Realität holt uns ein. Da hilft auch keine Marktabschottung oder ähnliches. Es wird nicht funktionieren.

Betrachten wir den dahinschmelzenden Wissensvorsprung, Bildungsvorsprung und Technologievorsprung, dann könnte es dauerhaft schwierig werden. Da braucht es keine Dumpinglöhne und sozial schwache Absicherungen. Das regelt sich von ganz allein. Ob uns das nun gefällt oder nicht.

Da werden wir uns wohl etwas einfallen lassen müssen. Unternehmer, und es trifft die kleinen immer zuerst, die mit weiteren Verordnungen, Richtlinien etc. gegängelt werden, wird man jedenfalls nicht begeistern können für die EU. Selbst wer bemüht ist, in der Sache alles einzuhalten. Er scheitert dann fehenden Dokumentationen etc.

Gruß

Thies
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Re: Mindestloehne oder Sozialdumping ?

Beitragvon tomboll » So, 15. Mai 2005, 15:43

Thies hat geschrieben:Um es zu verdeutlichen. Wenn wir in D nicht in der LAge sind, pro Stunde eine höhere Leistung zu erbringen, z.B. dadurch, das wir bessere Auto sbauen, Software programmieren etc., dann werden wir uns darauf einstellen müssen, dass unserer Lebensstandard nicht dauerhaft höher sein wird (sein kann) als in Polen, Estland, Indien etc.


Warum wird das Thema eigentlich immer nur von der Angebotsseite her betrachtet und die Nachfrageseite vernachlässigt? Was nützt es denn günstig zu produzieren wenn ich keinen finde der mir das Produzierte abkauft? Die in Tschechien produzierten Autos sind schließlich nicht für den tschechischen Markt bestimmt, sondern für Westeuropa, weil sie sich nur dort die Menschen (noch) leisten können. Für die Unternehmen ist es doch nur dann interessant in Billiglohnländern z.B. in Osteueropa zu produzieren wenn sie andererseits zu "westlichen" Preisen verkaufen können, denn das macht den Gewinn aus. Das funktioniert aber langfristig nicht. Wenn die Unternehmen immer mehr Arbeitsplätze aus Hoch- in Billiglohnländer verlagern sinkt das Einkommen der Bevölkerung in den westlichen Ländern und damit die Nachfrage. mit der Folge dass das Preisniveau sinkt und die hohen Gewinne nicht mehr realisierbar sind. Die Unternehmer sägen sich zur kurzfristigen Gewinnmaximierung den Ast ab auf dem sie sitzen. Hier wäre es die Aufgabe des Staates mit ordnungspolitischen Maßnahmen einzugreifen.

Übrigens werden sich die Arbeiter in den Billiglohnländern auf Dauer auch nicht mit ihren niedrigen Löhnen zufrieden geben wodurch die Arbeitskosten für die Unternehmen steigen. Diese Entwicklung läßt sich jetzt schon in Tschechien, Polen und Ungarn beobachten.

Um zum eigentlichen Thema der Diskussion zurückzukommen: Die Arbeiter aus Polen sind doch nur deshalb bereit in D oder N für einen Bruchteil des Lohnes eines Deutschen oder Norwegers zu arbeiten, weil die Kaufkraft des so verdienten Geldes in Polen höher ist.

Das Geld steht nicht für den Konsum in D oder N zur Verfügung, kann also hier auch keine Nachfragewirkung entfalten. Es ist daher völlig legitim und wie ich oben schrieb langfristig sogar im Sinne der Unternehmen, wenn dieses Lohndumping z.B. durch Mindestlöhne verhindert wird.

Gruß,
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Re: Mindestloehne oder Sozialdumping ?

Beitragvon Thies » So, 15. Mai 2005, 16:01

Es kommt auf das selbe heraus, es findet eine Angleichung statt. Viel der in D verkauften Produkte werden zu sehr niedrigen Preisen im AUsland hergestellt und auch zu entsprechend niedrigen Preisen in D verkauft.

Ein langfristiger Vergleich zeigt - und zwar nicht erst seit gestern - dass die von Arbeitnehmern aufzubringende Arbeitszeit für die wesentlichen Konsumgüter (für Privathaushalte gibt es nur Konsum, keine Investitionen) stetig gesunken ist. Das nennt man Wohlstandswachstum.

Ausgenutzt wurde das Wohlstandsgefälle zwischen einzelnen Wirtschaftsräumen. Man könnte auch sagen, wir haben auf Kosten anderer Völker gelebt und tun dies auch noch immer. Sehr schön zu sehen bei Pauschalreisen für einige Wochen zu einem Preis, der in D nicht mal für die Hotelübernachtungen reichen würde.

Es wird also eine Angleichung geben. Das bedeutet aber nix anderes, als das wir bereit sein werden (oder müssen ?!?) Wohlstandsabbau hinzunehmen. Anders wird die Gleichung nicht aufgehen. Jedenfalls dann nicht und das steht nun einmal fest, wenn wir in unserer Volkswirtschaft nicht (mehr) in der Lage sind, Produkte herzustellen, die anderen im Nutzen überlegen sind. Anderenfalls wäre der höhere Preis nicht realisierbar und damit das höhere (Wohstands-) Einkommen nicht zu rechtfertigen.

Und zu den Märkten. Herstellern ist es ziemlich egal wo ihre Produkte verkauft werden. Der chinesische Automarkt wird in wenigen Jahren viel interessanter sein, als der europäische oder gar der kleine deutsche Markt.

Europa kann ganz schnell an Bedeutung verlieren. Und Deutschland ist für die Weltwirtschaft so wichtig nicht. Das sollten wir uns vielleicht mal verdeutlichen, wenn wir schön romantisch an Zeiten denken, die schlicht vorbei sind oder bald sein werden.

Gruß

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Re: Mindestloehne oder Sozialdumping ?

Beitragvon Alsterix » So, 15. Mai 2005, 16:27

Es ging hier nicht um Loehne in Polen sondern um Loehne die an auslaendische Arbeiter in Norge gezahlt werden.
Und in dem Falle ist es schlicht eine Sauerei und pure Ausbeutung wenn diesen Kollegen gerademal ein Drittel des ortsueblichen Tariflohnes gezahlt wird.
Daran aendert auch die Tatsache nichts dass die hierher geholten Arbeiter hier nur fuer eine kurze Zeit arbeiten und leben.
Obendrein rundet es das Gesamtbild wenn ihnen zugleich auch noch extrem schlechte Arbeitsbedingungen geboten bzw. elementare gesetzliche Rechte vorenthalten werden.
So etwas ist ueberhaupt nur vor dem Hintergrund einer unverhaeltnismaessig hohen Arbeitslosigkeit in den Heimatlaendern (Polen ebenso wie Deutschland) von Arbeitgeberseite durchzusetzen. Aufgabe unter anderem der norwegischen Gewerkschaften aber ebenso auch der Politik waere es, solchem Treiben klare Grenzen zu setzen. Gesetzliche Mindestloehne sind keine anarchistische Erfindung sondern fester Ordnungsbestandteil durchaus konservativer Marktwirtschaften.
Zu Hinterfragen bliebe in dem genannten Fall ausserdem ob da nicht sowieso gegen Einschraenkungen verstossen wird die sich aus dem EU-Recht ergeben. Aus gutem Grund ist den neuen Beitrittslaendern innerhalb der EU fuer unterschiedliche Uebergangszeiten eben nicht der uneingeschraenkte Zugang z.B. zum Arbeitsmarkt erlaubt worden. Genau da kommen wir aber offenbar in Bereiche in denen Weisse-Kragen-Kriminelle der Gesetzgebung und den Behoerden staendig mindestens zwei Schritte voraus sind..... :roll:


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Re: Mindestloehne oder Sozialdumping ?

Beitragvon tomboll » So, 15. Mai 2005, 17:11

Thies hat geschrieben:Es kommt auf das selbe heraus, es findet eine Angleichung statt. Viel der in D verkauften Produkte werden zu sehr niedrigen Preisen im AUsland hergestellt und auch zu entsprechend niedrigen Preisen in D verkauft.


Sie werden eben nicht zu "entsprechend" niedrigen Preisen verkauft, sondern zu dem Preis der gerade noch durchsetzbar ist um dennoch Kostenführer zu bleiben und so den Gewinn maximieren zu können. Der Preis bei dem der Grenzertrag gleich den Grenzkosten ist.

Es wird also eine Angleichung geben. Das bedeutet aber nix anderes, als das wir bereit sein werden (oder müssen ?!?) Wohlstandsabbau hinzunehmen. Anders wird die Gleichung nicht aufgehen. Jedenfalls dann nicht und das steht nun einmal fest, wenn wir in unserer Volkswirtschaft nicht (mehr) in der Lage sind, Produkte herzustellen, die anderen im Nutzen überlegen sind. Anderenfalls wäre der höhere Preis nicht realisierbar und damit das höhere (Wohstands-) Einkommen nicht zu rechtfertigen.


Deine neoliberalen Theorien in allen Ehren, aber D ist nach wie vor "Exportweltmeister". Unsere Ausfuhren übertreffen sogar wieder die der USA. Soviel zum Thema mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Das ist überhaupt nicht das Problem in Deutschland, auch wenn uns das viele einreden wollen. Unser Problem ist die schlechte Binnennachfrage, und die wird durch Lohndumping noch mehr gefährdet. Das ganze "shareholder-value" Gefasel bei großen Unternehmen führt dazu, dass nur auf kurzfristige Gewinnsteigerung geschielt wird und die langfristige Entwicklung nicht berücksichtigt wird. Wenn es die Unternehmen nicht schaffen verantwortungsvoll zu handeln, dann muss es eben der Staat tun.

Und zu den Märkten. Herstellern ist es ziemlich egal wo ihre Produkte verkauft werden. Der chinesische Automarkt wird in wenigen Jahren viel interessanter sein, als der europäische oder gar der kleine deutsche Markt.


Das ist ein ganz schwaches Argument. In einigen Jahren sind die heute produzierten Autos Schrott. Die heute produzierten Autos müssen heute verkauft werden, und das geht nicht in China. Das kann sich da kaum jemand bei den dortigen Hungerlöhnen leisten. Wenn sich das ändern soll, dann müssen die Leute auch dort mehr Geld haben, und dann müssen dort auch die Löhne entsprechend steigen.

Gruß,
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Re: Mindestloehne oder Sozialdumping ?

Beitragvon Thies » So, 15. Mai 2005, 18:14

Auh auf die Gefahr hin disqualifiziert zu werden, weil meine Beiträge nix mit Norwegen (jedenfalls nicht direkt) zu tun haben, nochmal z uder von mir gestellten Frage:

"Wie lässt sich dauerhaft ein höherer Lebensstandard rechtfertigen, wenn die Wertschöpfung je Zeiteinheit in einem Land nicht höher ist als in einem anderen?"

Wenn diese Frage beantwortet ist, sag ich auch nix nicht mehr. Auch nix Neoliberales.

Und auch wenn "wir" Exportweltmeister sein sollten. Was nützt uns das, wenn z.B. bis zu 80% der in den exportierten Gütern (bleiben wir bei Autos) gar nicht in D hergestellt worden sind. Es hilft uns gar nix.

Interessant ist doch, dass gerade die Jobs in den unteren Qualifikationsstufen weggebrochen sind. Und die könnten auch weiter wegbrechen.

Was uns helfen könnte, wäre eine bessere Qualifikation und mehr Wertschöpfung je Arbeitsstunde. Eine höhere Produktivität führt auch zu mehr Wohlstand. Das dies durch eine Staatswirtschaft erreicht werden könnte, vermag ich eher zu bezweifeln. Hat bisher jedenfalls noch nie funktioniert.

Gruß

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Re: Mindestloehne oder Sozialdumping ?

Beitragvon tomboll » Mo, 16. Mai 2005, 11:37

Thies hat geschrieben:Auh auf die Gefahr hin disqualifiziert zu werden, weil meine Beiträge nix mit Norwegen (jedenfalls nicht direkt) zu tun haben, nochmal z uder von mir gestellten Frage:

"Wie lässt sich dauerhaft ein höherer Lebensstandard rechtfertigen, wenn die Wertschöpfung je Zeiteinheit in einem Land nicht höher ist als in einem anderen?"


Hast du dir die Zahlen denn mal angesehen? Die Summe der Wertschöpfungen ergibt das Bruttoinlandsprodukt (BIP), sinnvollerweise mit Kaufkraftausgleich. Beim BIP pro Person liegt Deutschland bei 26.200$ und damit vor Frankreich und Schweden, Norwegen kommt sogar auf 33.000$. Die Osteuropäischen Länder liegen hier weit schlechter, Tschechien kommt auf 15.300$, die Slowakei auf 12.400$, Polen auf 9.700$. China liegt bei 4.700$. (Quelle) Was willst du also mit deiner Frage bezwecken?

Wertschöpfung findet nach wie vor in erheblichem und ausreichendem Maße in Deutschland statt. Das Problem ist eher die gerechte Verteilung des Wohlstands.

Und schließlich: Ob die Wertschöpfung tatsächlich der richtige Maßstab für Wohlstand ist, sei auch mal dahin gestellt. Wer mehr dazu wissen will sollte mal das hier lesen: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/14/14892/1.html

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Re: Mindestloehne oder Sozialdumping ?

Beitragvon Heli » Mo, 16. Mai 2005, 15:17

Thies hat geschrieben: "Wie lässt sich dauerhaft ein höherer Lebensstandard rechtfertigen, wenn die Wertschöpfung (...) in einem Land nicht höher ist als in einem anderen?"

Ich finde, das ist sehr schön auf den Punkt gebracht. Und die Antwort ist ebenfalls recht leicht: gar nicht.

Die Lösung dieses Problem ist aber offensichtlich: wir müssen zusehen, daß unsere Arbeit effizienter ist (und damit eine höhere Wertschöpfung hat) als die anderer Volkswirtschften. Die Globalisierung im Allgemeinen und Ansätze der Dienstleistungsrichtlinie der EU hier im Spezifischen lassen die Notwendigkeit dafür nur schneller sichbar werden, da (Handels-)beschränkungen wegfallen und die direkten Konsequenzen (polnische Spargelstecher für 3,20 EUR die Stunde) sichtbar werden.

Das Problem ist aber nicht so akut wie es scheint, da dem polnischen Spargelstecher der deutsche Ingeneur entgegensteht. Laut Wirtschaftministerium ist das Saldo für Deutschland positiv. (Siehe mein oberer Link).

Es ist doch aber recht heuchlerisch mit einem überdimensionierten und überausgestatteten Staatsapparat (wie haben eine Staatsquote von fast 50% in Deutschland!) der Bevölkerung Kaufkraft und den Unternehmen die Gewinne zu entziehen und sich gleichzeitig über die schwächelnde Binnennachfrage zu wundern. Ich frage mal etwas provokant: Welche Wertschöpfung erbringt mein Sachbearbeiter im Finanzamt? Die 240.000 Mann der Bundeswehr? Die 60.000 Angestellten des Arbeitsamtes? Die BAG? Die Knappschaft? Die GEZ? Die Berufsgenossenschaften? Die IHK? Warum baut die AOK so tolle Glaspaläste in der Stuttgarter Innenstadt?

Tomboll hat geschrieben:Wenn es die Unternehmen nicht schaffen verantwortungsvoll zu handeln, dann muss es eben der Staat tun.

Tut er schon: 5,0 Mio Arbeitslose, ein klägliches Wirtschaftswachstum, Produktionsverlagerung und Auswanderung von Fachkräften sind die Folge. Willst Du mehr davon?

Gruß aus dem (nicht) sonnigen Larvik!
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Re: Mindestloehne oder Sozialdumping ?

Beitragvon tomboll » Mo, 16. Mai 2005, 16:06

Heli hat geschrieben:Das Problem ist aber nicht so akut wie es scheint, da dem polnischen Spargelstecher der deutsche Ingeneur entgegensteht. Laut Wirtschaftministerium ist das Saldo für Deutschland positiv. (Siehe mein oberer Link).


Richtig, daher auch meine Zahlenbeispiele. Deutschland ist absolut wettbewerbsfähig in der Welt, und das trotz der ach so hohen Löhne und Abgaben über die sich regelmäßig Wirtschaftsfunktionäre mokieren. Dabei kann man durchaus sagen, dass wir auch wegen der hohen Löhne wettbewerbsfähig sind.

Es ist doch aber recht heuchlerisch mit einem überdimensionierten und überausgestatteten Staatsapparat (wie haben eine Staatsquote von fast 50% in Deutschland!) der Bevölkerung Kaufkraft und den Unternehmen die Gewinne zu entziehen und sich gleichzeitig über die schwächelnde Binnennachfrage zu wundern. Ich frage mal etwas provokant: Welche Wertschöpfung erbringt mein Sachbearbeiter im Finanzamt? Die 240.000 Mann der Bundeswehr? Die 60.000 Angestellten des Arbeitsamtes? Die BAG? Die Knappschaft? Die GEZ? Die Berufsgenossenschaften? Die IHK? Warum baut die AOK so tolle Glaspaläste in der Stuttgarter Innenstadt?


Du weißt aber selbst, dass das ziemlich populistisch ist, oder? Natürlich erbringt der Finanzbeamte kaum Wertschöpfung, aber es ist nun mal notwendig. Genauso wie der Polizist, der Lehrer, der Richter usw. Was nicht heißt dass ich nicht auch finde, dass wir in vielen Bereichen überreguliert sind. Das dürfte aber für Norwegen genauso gelten. Die Bundeswehr trägt übrigens ganz ordentlich zur Wertschöpfung bei.

Tomboll hat geschrieben:Wenn es die Unternehmen nicht schaffen verantwortungsvoll zu handeln, dann muss es eben der Staat tun.

Heli hat geschrieben:Tut er schon: 5,0 Mio Arbeitslose, ein klägliches Wirtschaftswachstum, Produktionsverlagerung und Auswanderung von Fachkräften sind die Folge. Willst Du mehr davon?


Och komm, du weißt selbst dass du meine Aussage aus dem Zusammenhang gerissen hast. Die bezog sich auf ordnungspolitische Maßnahmen, die die Auswüchse des Strebens nach kurzfristiger Gewinnmaximierung bekämpfen.

Außerdem ist Staat nicht gleich Regierung. Der Staat schafft, außer im öff. Dienst, keine Arbeitsplätze und verlagert auch keine Produktion. Das sind die Unternehmen. Und da bleibe ich dabei, dass die sich langfristig den Ast absägen auf dem sie selber sitzen.

Frag mal den kleinen Handwerker was er von dem Verhalten der Großkonzerne hält. Gar nichts, weil der nämlich davon lebt, dass es in Deutschland genügend Leute gibt die ihn bezahlen können. Stichwort Binnennachfrage. Aber der hat eben keine Lobby und kann nicht in jeder Talkshow sein Horrorszenario vom Stapel lassen.

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SV: Mindestloehne oder Sozialdumping ?

Beitragvon Kai-Erik » Mo, 16. Mai 2005, 17:31

Heisann,

eigentlich wollte ich mich ja aus dieser Diskussion heraushalten,
da nach meiner Meinung viel-zu-viel darüber geredet wird...
nur macht keiner etwas dagegen.

Da ich aber gerade am PC sitze und etwas für die Firma erarbeite und das
Heute und das ohne mehr Lohn etc...

Habe ich kleine Anmerkungen zu zwei Bemerkungen:



Heli hat geschrieben:Das Problem ist aber nicht so akut wie es scheint, da dem polnischen Spargelstecher der deutsche Ingeneur entgegensteht.


Ja aber, was ist mit dem polnischen Ingeneur? Ich finde es immer sehr Interessant, das man sich an die
Spargelstecher orientiert und dabei die eigentlichen *billigen* Facharbeiter übersieht.

Heli hat geschrieben:Tut er schon: 5,0 Mio Arbeitslose, ...


Also, das man sich immer an diese 5,0 Mio. festhält und dann waren alle auch noch erschrocken, als
diese Zahlen präsentiert worden sind.

Warum? Ich kannte diese Zahlen auch schon vorher. Und auch schon unter der alten
Regierung.

Ich finde, bevor Mann/Frau diese 5,0 Mio. als Zahlenbeispiel bringt, sollte sich vorher
informieren, wie diese hohe Zahl überhaupt enstanden ist und wird dann einen AHA-Erlebniss
haben. Und da ja alle nun laut *ungerecht* Protestbrüllen, wird diese Zahl wieder, etwas was alle
Regierungen auch vorher schon taten, nach unten hin *verbessert*.

ha det

Kai-Erik
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å sprenge et atom enn en fordom.
Albert Einstein


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