Peer Gynt

Literatur, Musik, Kunst, Sprache, etc.

Peer Gynt

Beitragvon bgh » Fr, 24. Feb 2006, 22:20

Hei alle sammen :D,

heute vor 130 Jahren, am 24. 02. 1876 wurde im Christiania-Theater in Oslo die Theaterversion des Gedichtes "Peer Gynt" (gilt als Nationalepos)uraufgeführt. Die Musik dazu hat Edvard Grieg wohl eher aus Geldnot geschrieben - :!: - und heute kennt wirklich die ganze Welt seine Morgenstimmung. Übrigens, zum Abschluss des Gedenkens an den 100. Todestag von Henrik Ibsen, wird am 26. und 27. Oktober eine Konzertversion von «Peer Gynt» am Originalschauplatz aufgeführt: auf ägyptischem Wüstensand vor der Sphinx bei den Pyramiden von Giseh.
Hier ein aktueller Bericht vom Deutschlandfunk, genauer gesagt von EBERHARD SPRENG:

...In Rom hatte Ibsen den ersten Teil des "Peer Gynt" abgeschlossen; und nun war er im Frühjahr 1867 mit seiner Familie nach Casamícciola auf der Insel Ischia gefahren und hatte sich in der Villa Písani einquartiert, von wo er in die Weinberge blicken konnte, die zum Meer hin abfielen. Hier schrieb er weiter an seinem Opus Magnum, machte Wanderungen und dachte an seine Heimat im Norden.
"Wie das Leben dort oben vor mir steht, hat es etwas unbeschreiblich Drückendes, es lähmt den Geist und den Willen; das ist der Fluch der kleinen Verhältnisse, dass sie die Seelen klein machen."
Es ist diese Welt des Nordens, der die Hauptfigur des Textes, an dem Ibsen arbeitete, entfloh. Ebenso wie sein Autor. Peer Gynt sollte zur Figur des weltlichen Abenteurers werden. Erst kurz vorher hatte Ibsen, der Sohn eines verarmten Kaufmanns, am Theater in Bergen und in Cgistiania, dem heutigen Oslo gearbeitet, als Autor aber mit "Brand" einen ersten großen literarischen Erfolg erzielt und nun ein staatliches Autoren-Stipendium erhalten.
Mit "Peer Gynt" schrieb er quasi die weltliche Entsprechung zur spirituellen, zur inneren Seelenreise in "Brand". Seinem Verleger Frederik Hegel hatte er versprochen:
"Schließlich muss ich Ihnen berichten, dass meine neue Arbeit voll im Gange ist und, wenn alles gut geht, früh im Sommer fertig sein wird. Daraus entsteht ein großes, dramatisches Gedicht, dessen Hauptfigur eine halb mythische, halb abenteuerliche Gestalt des norwegischen Volkes der neueren Zeit ist."
Peer Gynt wird ein Verkaufserfolg. Nur die Kritik des einflussreichen Dänen Clemens Petersen, der Ibsen "Gedankenschwindelei" und Poesielosigkeit vorwirft, traf den Autor hart. Er klagte in einem Brief vom 9. Dezember 1867.
"Halte mich nicht für einen blinden, eitlen Narren! Glaub mir, dass ich in stillen Stunden ganz artig in meinen Eingeweiden herumwühle, sondiere und analysiere. Mein Buch ist Poesie; und wenn nicht, so wird es das werden. In unserem Land, in Norwegen, soll der Begriff Poesie sich nach dem Buch richten."
Erst nach der Veröffentlichung des dramatischen Gedichts, das in der Wahrnehmung schnell zum panskandinavischen Epos über den negativen Helden, Fantasten und Illusionisten werden sollte, reifte in Ibsen auch der Gedanke an eine Theaterversion. Mit "Peer, Du lügst", dem Ausspruch der Mutter, beginnt das Stück. Peer Gynt ist ein wankelmütiger Liebhaber verschuldet so den Tod einer jungen Frau, und flieht vor seiner Verantwortung in eine Traumwelt. Der egoistische Hasardeur und Afrikareisende macht sogar Karriere als Sklavenhändler, bevor er schließlich, nach einem Aufenthalt in einer Kairoer Irrenanstalt, als armer alter Mann in den engen Norden zurückkehrt, wo ihm der "Knopfgießer", eine allegorische Figur für die höhere Gerechtigkeit, die Nutzlosigkeit seines Leben vorführt.
Knopfgießer: "Du warst nun gedacht als ein blinkender Knopf auf der Weste der Welt; doch die Öse misslang. So musst du denn Freund in den Ausschusstopf - und nimmst wieder in der Masse deinen Gang."
Peer: "Du planst doch nicht etwa aus mir zum Schluss samt Peter und Paul einen neuen Guss?"
Was heute aus den Spielplänen der großen europäischen Theater nicht mehr wegzudenken ist, sollte nach dem Willen des Autor allerdings eigentlich Musiktheater werden: Aus Dresden hatte Ibsen Edward Grieg in einem Brief vom Anfang 1874 darum gebeten, die "nötige Musik" zu einem "musikalischen Drama" zu komponieren.
Eine eklatante Nicht-Verständigung belastete allerdings die Arbeit, die der bekannte norwegische Autor dem berühmtesten norwegischen Komponisten antrug. Grieg arbeitete eher widerwillig und mehr aus finanzieller Not an dem Projekt, irgendwie wollten Musik und Drama nicht so recht zusammenpassen. Und doch: Die Uraufführung im Christiania-Theater im heutigen Oslo, die am 24. Februar 1876 stattfand, wurde ein Erfolg.
Von nun an aber machten die von Grieg wenig später umgearbeitete Schauspielmusik und das Drama getrennte Karrieren: Erstere als Orchestersuiten im Konzertsaal, letztere auf den Sprechbühnen. Eine Oper von Werner Egk von 1938 bediente sich recht frei der literarischen Vorlage; Choreografien wie zum Beispiel das Handlungsballett von Richard Wherlock aus dem Jahr 2003 zeigen die ungebrochene Wirkung des Stoffes. Dass mit "Peer Gynt" eine ironische Abrechnung mit dem national-romantischen Pathos der Norweger gemeint war, verlor dabei rasch an Bedeutung. Man sah vor allem die Lebensgeschichte eines unsteten Abenteurers. Ibsens Peer Gynt hat Regisseure immer wieder interessiert. Als theatermächtigen Bilderbogen oder als düsteren Raum eines mit Wirklichkeiten spielerisch zappenden Gehirns hat man das Stück gesehen, und von Mal zu Mal wurde die Titelgestalt immer mehr zu einem nordischen Verwandten von Shakespeares Hamlet und Goethes Faust. ...
-- Quelle: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kale ... tt/471745/
-- mehr zu Ibsen: http://www.ibsen.net
Hilsen, bgh
...EDIT:
hier die Handlung: [http://de.wikipedia.org/wiki/Peer_Gynt]
Die Geschichte von Peer Gynt ist sehr phantasiereich und verworren:
Die Hauptfigur ist der 20-jährige Peer Gynt, der mit Lügengeschichten versucht, der Realität zu entfliehen. Auf der Suche nach Liebe und Abenteuer findet er sich in einer Welt der Trolle und Dämonen wieder. Er entführt Ingrid, die Braut eines anderen. Gleichzeitig verliebt er sich in Solvejg, die ihn anfangs nicht erhört, sich dann ihm doch anschließt.
Nach einem Zeitsprung von etwa 30 Jahren findet sich der inzwischen unter anderem durch Sklavenhandel reich gewordene Peer in Marokko wieder. Dort wird ihm von Geschäftspartnern sein Schiff mit allen Reichtümern gestohlen. Nach einem Gebet versinkt das Schiff; Peer findet sich mit seiner Armut ab und wendet sich Gott zu. Durch einen Angriff von Affen wird er in die Wüste getrieben, wo er sich in eine Oase rettet. Von den dort lebenden Jungfrauen erwählt er Anitra, die ihm allerdings die letzten Habseligkeiten stiehlt. Den Tiefpunkt seines Lebens erlebt Peer im Irrenhaus zu Kairo, dem der deutsche Arzt Doktor Begriffenfeldt vorsteht.
Alt und verarmt kehrt Peer Gynt heim, wo er um seine Seele kämpfen muss. Schlussendlich stellt sich Solvejg, die ein Leben lang auf die Rückkehr ihres Geliebten gewartet hat, schützend vor ihn und rettet ihn.
bgh
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Re: Peer Gynt

Beitragvon Harald96 » Sa, 25. Feb 2006, 7:30

[quote="bgh"] Den Tiefpunkt seines Lebens erlebt Peer im Irrenhaus zu Kairo, dem der deutsche Arzt Doktor Begriffenfeldt vorsteht. [quote]

Ein anderer Deutscher in diesem Schauspiel ist Herr von Eberkopf. Ibsen hat es auch verstanden, herrlich zu parodieren:

“v. Eberkopf: Et vift,
et skjaer av frigjordt aandsbetraktning
og verdensborgerdomsforpaktning,
et syn igjennem skyens rift,
der ei av snever fordom bindes,
et preg av hoyere forklaring,
en ur-natur med livserfaring
paa trilogiens topp forent.
Ei sant, monsieur; saa var det ment?

Monsieur Ballon: Jo, meget mulig; ikke ganske
saa smukt det klinger i det franske.

v. Eberkopf: Ei was! Det sprog er og saa stivt. -“

MfG Harald \
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Re: Peer Gynt

Beitragvon bgh » Sa, 25. Feb 2006, 12:46

Hei Harald96,
Steine statt Zuckerbrot... nach nicht ganz zwei Zeilen Übersetzungsversuchen mit meinem norsk-tysk ordbook hatte ich eine solche Fülle von Möglichkeiten, dass ich die åndsbetraktning nicht mehr sinnvoll zuordnen konnte... den Geist befreit/freizügig/emanzipiert in Betracht ziehen... das konnte es nicht sein. Schön, dass es den SPIEGEL gibt! In seinem Gutenbergprojekt führt er auch Ibsen als Autor: http://gutenberg.spiegel.de/autoren/ibsen.htm . Christian Morgenstern hat das Gedicht ins Deutsche übersetzt. Man kann es dort kostenlos nachlesen. Die Szene kommt im 4. Akt, ca. Zeile 14.
Auf die Übersetzung "geistiger Entnachtetheit" wäre ich nie gekommen. Ist schon interessant zu lesen, der Ibsen (Morgenstern)!
Grüße, bgh
bgh
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Re: Peer Gynt

Beitragvon Harald96 » So, 26. Feb 2006, 11:20

bgh hat geschrieben:Christian Morgenstern hat das Gedicht ins Deutsche übersetzt. Man kann es dort kostenlos nachlesen. Die Szene kommt im 4. Akt, ca. Zeile 14.
Auf die Übersetzung "geistiger Entnachtetheit" wäre ich nie gekommen. Ist schon interessant zu lesen, der Ibsen (Morgenstern)!


Ja, diese Uebersetzung ist nicht schlecht! Eine englische Uebersetzung scheint nicht ganz so wohlgelungen zu sein:

http://home.c2i.net/espenjo/home/ibsen/ ... _4a_fr.htm

“VON EBERKOPF: A dash,
a tinge of free soul-contemplation,
and cosmopolitanisation,
an outlook through the cloudy rifts
by narrow prejudice unhemmed,
a stamp of high illumination,
an Ur-Natur, with lore of life,
to crown the trilogy, united.
Nicht wahr, Monsieur, 'twas that you meant?”

(Ibsen macht ja hier Spass darueber, in welcher Weise einige Deutsche (seiner Meinung nach) reden. Mein alter Studienrat in Norwegisch hat es allerdings sehr lustig gefunden!)

MfG Harald =
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