von Günter » Sa, 26. Jul 2003, 19:23
Liebe Gitta,
danke für Deine Antwort. Das ist sehr schön mal mit einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin über unseren Sozialstaat zu diskutieren.
Ich will Dir erst einmal meine Situation schildern. Ich bin seit 25 Jahren selbständig. Die Geschäfte laufen seit ca. einem Jahr nicht mehr gut. Die Gründe dafür sind sekundär. Sollte ich meine Existenz verlieren, dann darf ich, aber erst nachdem ich mich vollständig entreichert habe, beim Sozialamt melden. Das Arbeitsamt wäre für mich nicht zuständig. Einen Job mit 44 zu finden ist nahezu aussichtslos, wenn selbst jüngere Arbeitslose mit besseren Qualifikationen keinen finden.
Für mich kann dies ganz schnell dann in die Obdachlosigkeit führen, da die Städte bei Alleinstehenden auch in die Wohnheime verweisen.
Was ist denn das dann für ein Leben?????? Null Perspektive, absolute Ausgrenzung vom gesellschaftlichen Leben???? Da ist mir dann aber eine warme Wohnung lieber, die ich mit meinen Kindern teilen kann. Ich habe dann auch eine Aufgabe: nämlich die Erziehung meiner Kinder. Ich kann dazu beitragen, das sie eine gute Schulbildung erhalten, sofern sie begabt genug sind. Und damit besser Chancen im Leben erhalten. Ich kann ihnen eine liebe Mutter sein. Ist das nichts????
Ich möchte noch nachschicken, daß ich meine Kindheit vom 4. bis zum 10. Lebensjahr in einem Kinderheim verbracht habe, weil es in den sechziger Jahren eben nicht solche Sozialleistungen gab, wie es sie heute gibt.
Du brauchst mir also jetzt nicht zu erzählen, ich wüßte nicht, wovon ich schreibe. Das weiß ich sehr genau!!!
Und trotzdem sage ich, daß unser Sozialstaat eklatant ausgenutzt wird!!!! Sicherlich nicht von jedem Leistungsbezieher, aber doch von einem großen Teil. Kaum jemand würde sich doch bereit erklären, für die erhaltenen Leistungen, auch eine Gegenleistung zu erbringen. Da gäbe es genug Möglichkeiten. Ich meine damit ausdrücklich nicht, die alleinerziehende Mutter. Die soll sich ausschließlich um ihre Kinder kümmern, wenn diese noch zu klein für den Kindergarten sind.
Nur, wie sieht es denn bei den alleinerziehenden Müttern aus??? Ein Beispiel aus meinem Bekanntenkreis: Mutter, Mitte 20, zwei Kinder, Mädchen. Die liebe Mutter liegt bis in den Mittag mit ihrem Hintern im Bett und ist nicht einmal bereit dafür zu sorgen, daß ihre Kinder ordnungsgemäß am Schulunterricht teilnehmen. Ergebnis, eines der Kinder geht so gut wie gar nicht in die Schule und mußte sogar die 1. Klasse wiederholen, dem anderem geht es nicht besser. Nach der 4. Klasse auf die Sonderschule. Die „liebe“ Mutter lebt mit einem Freund in eheähnlicher Gemeinschaft zusammen; er ist arbeitslos und geht nebenbei schwarz arbeiten. Zwei Motorroller vor der Tür, und wenn die liebe Mutter mal wieder keine Lust zum kochen hat, dann kommt halt das Pizzataxi. Und die Härte: Zum Einkaufen geht’s auch mal mit der Taxe.
Mein Bekannter mit Frau und ebenfalls zwei Kindern hat einen unheimlichen Hals, da er für seinen Haushalt Schichtarbeit machen muß, und seine Frau nebenbei die Grundschule putzt. Letzteres könnte auch die „liebe Mutter“ machen, und die Gemeinde würde jeden Monat 750,-- Euro sparen, also schlappe 9.000,-- pro Jahr.
Und liebe Gitta, sage mir jetzt bitte nicht, daß ist der einsame Einzelfall. Das ist heute eher die Regel!!!!! Schon Anfang der 90er hat sich eine gute Freundin von mir (stammt ebenfalls aus kleinen Verhältnissen), maßlos über einen ähnlichen Fall aufgeregt. Pärchen er arbeitslos, sie arbeitslos, gingen beide schön brav schwarz arbeiten und prahlten auch noch damit.
Vielleicht hast Du Dir auch mal die „Spiegel-Dokumentationen“ zum Thema Sozialhilfemißbrauch angesehen, da wird dann das ganze Ausmaß an Dreistigkeit deutlich.
Dann zum Thema Leistungsfähigkeit des Staates. Liebe Gitta, entschuldige, aber so wie Du argumentierst, kann nur jemand argumentieren, der in seinem Leben noch nie ein großes finanzielles Risiko getragen hat, und immer schön versorgt wurde durch staatliche Bezüge. Ist Dir eigentlich bewußt wie pleite unser Staat (Bund, Länder und vor allem die Gemeinden) ist????? Anscheinend nicht, da die Kohle ja noch immer pünktlich auf’s Konto kommt. Das ist wie der Strom aus der Steckdose.
Mich wundert es seit langem, daß die internationalen Ratingagenturen (Moodys, Standard + Poors ) die Bundesrepublik Deutschland nicht schon auf „Junkstattus“ heruntergeratet haben, wohin sie eigentlich gehört!!!!! Genau da, wo auch Argentinien schon ist. Das machen die nur nicht, weil dann nämlich das gesamte Kartenhaus der westlichen Industrieländer zusammenbrechen würde. Das heißt im Klartext, sie weigern sich ihre eigenen Maßstäbe auf die „etablierten Staaten“ anzuwenden.
Was will ich damit sagen, ich will damit sagen, daß es nicht 12:00 Uhr ist, sondern längst 14:00 Uhr!!!! Und nur weil es das westliche Staatenbündnis nicht will, bleibt das marode System erhalten.
Ein Beispiel von Karl Heinz Däke, Präsident des Bundes der Steuerzahler: Um die deutsche Staatsverschuldung abzubauen, bräuchte es, wenn keine weitere Neuverschuldung entsteht, und unter der Nichtberücksichtigung der Zinslast, 130 Jahre, wenn jedes Jahr 10 Milliarden Euro in den Schuldenabbau gesteckt würden. Im Klartext heißt das, die Staatsverschuldung ist nur durch eine Währungsreform, sprich Staatsbankrott zu beseitigen. Und da bin ich mir sicher, der wird kommen. Sicher nicht kurzfristig, aber im Laufe der nächsten 10 Jahre.
Und dann sind all die schönen Überlegungen von der Beteiligung der Sozialhilfeempfänger am kulturellen Leben Makulatur!!!!
Noch ein letztes, damit die Ausgewogenheit gewahrt bleibt. Ich errege mich genauso darüber, wie asoziale Vorstände, wie Esser, Sommer, Serenga usw., Abfindungen erhalten die an Dreistigkeit schon nicht mehr zu überbieten sind. Esser 30 Mio., Sommer 23 Mio., Serenga 3,43 Mio. Euro. Und das für eine Nulleistung!!! Besonders Serenga (WestLB) und Sommer (Telekom) führen die Unternehmen bis kurz vor die Pleite, und werden dann auch noch belohnt. Leidtragende sind die Mitarbeiter, die zu Tausenden entlassen werden und ihre Existenz und Perspektive verlieren!!!! Sie belasten dann wieder den Staat, über die Sozialsysteme. Dann die Banken, erst verzocken sie Milliarden von Euros im Börsenwahnsinn, dann entlassen sie Zehntausende von Mitarbeitern, und zum guten Schluß verweigern sie dem Mittelstand die notwendigen Kredite, wodurch wiederum Unternehmen kollabieren und Mitarbeiter in die Sozialsysteme entlassen.
Es ist also kein Diskussion darüber notwendig, die Sozialsysteme auszuweiten, sondern den Bestand zu sichern, sonst wird es nämlich bald keine mehr geben. Meine Heimatstadt Köln ist ein trauriges Beispiel dafür.
Viele Grüße
Günter